Komoedie des Alterns
werden sollen.
Was für ein Elend, seufzte Sarani. Er tat es routinemäßig. Dieser tonlose Ausruf war seit Wochen sein Lieblingsseufzer, und für einen Augenblick hatte er tatsächlich das Gefühl, als habe er wenigstens einen kleinen Teil seiner Seelenlast aus dem Körper befördert. Er, der Vermögende, beklagte sein Elend . Er wußte um die Doppeldeutigkeit dieses Wortes, doch er fand kein besseres.
Sarani, darauf legte er Wert, rechnete sich nicht zu jenen reichen Männern, die, alt geworden, auf der Spitze eines hohen Geldberges sitzen, diese Spitze jedoch abtragen, damit ein Plateau entsteht, auf dem sie sich wohltätig niederlassen, um der dankbaren Öffentlichkeit und der leeren öffentlichen Hand jene Spitze des Geldbergs als großzügige Spende zu übereignen. Im Gegenteil, die Akademie, die gewiß beträchtlicher Geldmittel bedurft hätte, war kein humanitäres oder wissenschaftliches Vorhaben, das Sarani begründen oder unterstützen wollte, vielmehr wuchs sie aus dem landwirtschaftlichen Betrieb, zu dem die beiden – der Österreicher war in der Anfangszeit dabei – den Wüstenboden umgewandelt hatten.
Ein Stück Wüste war Nutzland geworden mit Kartoffeln vor allem und Zucchini, bald aber auch blühender Garten mit Rosen und Palmen um die Ackerflächen herum, nicht zu reden von dem Wäldchen, in dessen Schatten Rinderzucht gedieh; und wo von Anfang an menschenfreundliche, von Sarani nach Ideen einer amerikanischen Architektin entworfene, vom Österreicher mitgestaltete, einfache, geräumige, gleichwohl anmutige Bauten ausStein, Holz und Lehm, in denen Einrichtungen zur weiteren Ausbildung der Landarbeiterinnen und Landarbeiter und deren Kindern Platz fanden; zuallererst eine Musikschule mit einem Klavierlehrer aus Stuttgart und einer Gesangslehrerin, einer ehemaligen Sopranistin aus Graz, und, nicht zu vergessen – warum nur, fluchte Sarani, kann ich ihn nicht vergessen? – dem Österreicher, der, ein respektabler Geiger, in der kurzen Zeit, die er es in der Wüste aushielt, zwei Schülerinnen und fünf Schüler, Kinder zwischen acht und vierzehn, als Violinisten um sich versammelte.
Ach, diese Musikschule, dachte Sarani wehmütig, und sogleich sträubte er sich gegen diese Erinnerung, sie war ihm zu sanft, er wollte für sich nur die unbarmherzige Verzweiflung gelten lassen, nicht auch die lebensfrohe Wehmut. Er hatte aber nicht mehr die Kraft, sich gegen die Erinnerung zu wehren: Musik. Sarani hielt es für möglich, daß der Untergang, wie er seinen jetzigen Zustand nannte, den Ursprung in seiner Liebe zur Musik hatte.
Als er mit achtzehn nach Österreich kam, studierte er Maschinenbau, seine Leidenschaft aber galt der Musik; der abendländischen. Insbesondere die Art, wie diese Musik die menschliche Stimme beförderte und herausforderte, nahm ihn gefangen. Im Gesang – Sarani stützte sich auf Beispiele von Bach, Mozart, Schubert, Wolf und Schönberg, die ihm besonders sprechend, also singend erschienen –, im abendländischen Gesang, so war sein Eindruck, befreit der Mensch sich von der Melodie der Sprache, die so karge Klangmöglichkeiten zuläßt, daß die Sprechenden gar nicht auf den Gedanken kommen, neben dem Wortsinn eine Wortmelodie zu suchen.
Der Mensch, vermutete Sarani damals, löst sich von den Fesseln der Sprachmelodie und gelangt in die freie Welt des Gesangs. Die Frage war, ob der Schritt in die Freiheit, wenn er nicht in der Musik getan wird, auch sonst unterbleibt, ob die Emanzipation der Musik von der Sprache ein Akt der Aufklärung ist, eng verbunden mit philosophischer, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher Aufklärung, und ob der Gesang diese Emanzipation anführt. Dafür spricht, daß der vielstimmige mittelalterliche Gesang der polyphonen Instrumentalmusik voranging, vermutlich als Vorbild; dafür spricht auch, daß Schönberg die Befreiung der Musik aus der Tonalität – zunächst in die Atonalität – in dem Stück Pierrot lunaire mit einer Singstimme gelang.
Die Frage nach der Eigenständigkeit der gesungenen Melodie gegenüber der gesprochenen hatte sich ihm in Österreich gestellt, Antworten darauf konnte er vielleicht in Ägypten finden. Und so war der Wüste kaum das erste Stück Ackerland abgerungen, und es war nach einem Jahr des Lebens in Baracken das erste gemauerte Haus kaum fertig, als in das halbfertige zweite schon die Sopranistin und der Pianist als Lehrkräfte einzogen.
Die Farm hatten sie auch deshalb gegründet, weil sie nie daran
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