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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Zelte bewegten sie sich mit großer Selbstverständlichkeit auf dem Wüstenboden, in den Zelten aber, auf dem mit Schaufeln geglätteten Sand, staksten sie dahin, als befänden sie sich auf versumpftem Gelände. Die Menschen brauchten wohl nicht nur das Dach über dem Kopf, sondern auch, buchstäblich, den Boden unter den Füßen. Sarani erinnerte sich, daß der Österreicher am Abend des achten Tages verschwunden war. Er konnte nur mit dem Ingenieur, der in Kairo zu Hause war, mitgefahren sein, von den Ägyptern, die auf der Farm arbeiteten, besaß nur er ein wüstentaugliches Auto, gemeinhin ein Privileg der Ausländer, das einzige, worum die Ägypter die Ausländer nicht beneideten, denn die Wüste hinter sich gelassen und die Stadt, nach Möglichkeit die Hauptstadt, erreicht zu haben, war das Ziel der Wünsche: Die wenigen Städte quollen über, Kairo aber war durch heillose Übervölkerung von einer Stadt zu einer Ansammlung aus Schlupflöchern geworden, in welcher selbst der aus tiefster Provinz Kommende, der sofort seine Chancenlosigkeit erkannte, zu seiner größten Überraschung ein Schlupfloch fand, wo er die erste Nacht überleben konnte und dann den nächsten Tag und die nächste Nacht, und ihm und seinesgleichen hätte man ein klimatisiertes, geländegängiges, also wüstentaugliches Fahrzeug, wie der Ingenieur eines besaß, schenken können, sie hätten es nicht genommen.
    Dieser Mann, erinnerte Sarani sich, den er brauchte, den er verabscheute, den er schätzte, den er fürchtete, betrieb in Kairo eine Firma zur Auffindung von Bodenschätzen in der Wüste. Fragte man ihn nach seinem Namen, antwortete er nur: Ingenieur, um nach einigen Glas Wein,den er nicht verschmähte, obwohl er sich als strenggläubig bezeichnete – womit er nur andeuten wollte, daß er in Sachen Islam keinen Spaß verstand, außer jenem, zu dem er gerade aufgelegt war –, dann doch seinen Namen preiszugeben, wenn auch nur den Geschäftsnamen: Ingenieur Mustafa Corporation; dieser Mann war der Idealtypus des islamischen Kapitalisten: antikapitalistisch, weil strenggläubig. Dem westlichen Kapitalisten fühlte er sich überlegen, wenn auch nur moralisch, er sah in jenem, wie er bei jeder Gelegenheit deklamierte, den Ausbeuter, der den Nächsten knechte, indem er ihn für sich arbeiten lasse. In Diensten Saranis stehe er nur, weil der beteuert habe, Ausbeutung abzulehnen, außerdem sei der Umgang mit Pflanzen und Tieren nicht mit der massenhaften Herstellung beliebiger Waren vergleichbar.
    Dieser Mann bejahte die Religion und verneinte den Kapitalismus, in Wahrheit aber interessierten ihn nur seine Geschäfte. Sarani und der Österreicher, die sich übervorteilt fühlten, sprachen mit ihm darüber, sie wollten, daß er als redlicher Kaufmann berechenbar mit ihnen zusammenarbeite, und erklärten ihm, daß in dem reichen Österreich, aus dem sie kamen, wie in anderen reichen Ländern auch, die Korruption legalisiert worden sei, indem wichtigen Angestellten in Wirtschaft, Verwaltung, Politik hohe Gehälter bezahlt würden, so daß die Machthaber, die das veranlaßt hätten, sich den Luxus gönnten, fortan nicht mehr von bestechlichen Untertanen, sondern von vornehmen Direktoren, Hofräten, Volksvertretern umgeben zu sein, und sich die Überheblichkeit leisten könnten, auf die Korruption in ärmeren Gesellschaften verächtlich herabzublicken.
    Sarani und der Österreicher boten dem IngenieurMustafa also an, seine Honorare, deren Höhe ihnen willkürlich festgelegt zu sein schien, umzuwandeln in ein Gehalt. Was Mustafa aufs äußerste erzürnte. Er drohte sogar, die Zusammenarbeit mit ihnen abzubrechen. Er sei das Gegenteil eines bestechlichen Menschen. Moralische Integrität sei für ihn der höchste Wert, nur mit reinem Gewissen wage er es, sich vor Gott niederzuwerfen. Korrupt wäre er, würde er akzeptieren, von Sarani ein Gehalt zu empfangen. Er sei kein Lohnsklave, der, wenn man ihm gerade nicht auf die Finger schaue, die Hände in den Schoß lege und dennoch Entgelt nehme. Er sei ein freier Mann. Er verfüge über großes Wissen und eine große Firma, und wolle jemand davon Gebrauch machen, stelle er, was er zu geben habe, gern zur Verfügung, zu einem angemessenen Preis, über den er sogar mit sich reden lasse.
    Sarani erinnerte sich, unwillig, denn am liebsten wäre er mit leerem Kopf auf der Betonbank gesessen, wie er sich damals in den Gesprächen mit Mustafa vergeblich bemüht hatte, zu jenem Punkt vorzustoßen, der ihn vor

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