Komoedie des Alterns
gelagert.
Der Fremde stellte sich der Mutter vor. Sarani, sagte er. Wie? fragte sie. Zacharias Sarani, sagte er. Die Mutter darauf: Ein schöner Name. Und Heinrich: Zacharias arbeite seit diesem Tag im Stahlwerk. Ob Zacharias, fragte sie, auch in Bruck in die Schule gehe. Sie stellte zweiTeller mit dicker Erdäpfelsuppe, darin Steinpilze, auf den Tisch. Zacharias sagte, nein.
Da niemand ihn bat, Platz zu nehmen, setzte er sich und nahm sich einen Löffel. Als Heinrich, der in dem Ruf stand, ein Viel- und Schnellesser zu sein, der nicht aß, sondern schlang, die Hälfte der Suppe aufgegessen hatte, war Zacharias’ Teller bereits leer.
Die Mutter stand am Herd, es duftete nach Backhuhn. Sie hatte um eins mit ihrem Mann gegessen, dessen Schicht um zwei Uhr nachmittags begann. Zacharias erzählte, nachdem er umsonst darauf gewartet hatte, gefragt zu werden, was ihn nach Kapfenberg geführt habe und woher er komme: daß er aus Kairo stamme, seit wenigen Wochen in Graz lebe, im Herbst mit dem Studium des Maschinenbaus beginnen wolle, aber schon an diesem Tag im Stahlwerk das Studium aufgenommen habe, schließlich sollte ein Maschinenbauer wissen, woraus eine Maschine hergestellt wird.
Die Mutter servierte das Huhn, dazu Reis und Salat. Jetzt war Heinrich der Schnellere, da er wie gewohnt das panierte Stück Huhn in die Hand nahm, das Fleisch mit den Zähnen vom Knochen riß und ihn so kahl nagte, daß nicht einmal die Knorpel übrigblieben, was Zacharias, der mit Messer und Gabel aß, erstaunt beobachtete. Er spreche ein schönes Deutsch, sagte die Mutter zu Zacharias. Sie auch, antwortete er, und da sie nichts erwiderte, fuhr er fort: In seinem Land sprächen nur sehr wenige Menschen gutes Arabisch, nach seiner Erfahrung nur die Kinder von Schauspielerinnen oder Schauspielern. Arabisch sei eine wunderschöne Sprache, wenn es nicht geschrien oder gekreischt, sondern langsam und ruhig artikuliert werde.
Die Mutter fragte ihn, ob seine Mutter Schauspielerin sei. Nein, antwortete er, und er, der eben noch ruhig gesprochen hatte, lachte laut auf. Seine Mutter sei eine Regentin gewesen und habe über ein großes, schönes Haus geherrscht. Sein Vater habe als der höchste Beamte des Königs das Land regiert, Mutter das Haus. Zacharias schloß die Augen, aber nur kurz, und spannte den Körper an, als müßte er einen Schmerz niederkämpfen. Rasch faßte er sich. Wenn man ein Haus regiere, sagte er, brauche man eine Stimme, die bis in den letzten Winkel des Kellers und des Dachbodens dringe. Sie sei eine stattliche Frau gewesen und habe sich nicht gern bewegt.
In der Eingangshalle, sagte er, sei ihr Fauteuil gestanden, der sei ihr Büro gewesen. Telefon habe sie keines gebraucht. Die Grenzen des Hauses seien die Grenzen ihrer Welt gewesen. Spazieren sei sie nur gegangen, wenn sie im Ausland war, und dann nur, um sich einzukleiden. Sie habe also laut gesprochen, wenn man das noch sprechen nennen mochte. Das aber vertrage das Arabische nicht. Diese Sprache sei so voll mit Konsonanten, daß sie, laut gesprochen, nicht klinge, sondern klirre. Sie wohltönend zu sprechen, müsse man beabsichtigen. Ihm scheine, immer weniger Araber wollten das. Sie habe Glück, sagte er zur Mutter gewandt, daß sie ihn nicht in seiner Muttersprache reden höre.
Ihre Mutter aber, fuhr er fort, sei gewiß Schauspielerin gewesen. Ja, gab sie zur Antwort; ihre Mutter sei eine Bauernmagd aus Slowenien gewesen, die ihre vier Kinder im Ausland zur Welt gebracht habe, eins in Belgien, zwei in den Niederlanden, sie selber sei in Deutschland zur Welt gekommen, im Ruhrgebiet. Und um sich unddie Kinder durchzubringen, müsse ihre Mutter gewiß auch eine gute Schauspielerin gewesen sein.
Woher er sein schönes Deutsch habe, fragte sie. Anders als sein Arabisch, antwortete Zacharias, sei sein Deutsch halbwegs erträglich. Seine Mathematiklehrerin in der deutschen Schule von Kairo sei aus Hannover gewesen. Da er die Mathematik geliebt habe und insofern auch die Mathematiklehrerin, habe er, gewissermaßen parallel, Mathematik und die deutsche Sprache erlernt, und diese als wohlklingend erfahren; was er vom Deutschlehrer aus Passau nicht hätte lernen können, der habe gesprochen, als wäre er unter heulenden Hunden aufgewachsen, eine Erfahrung, die Sarani in Graz allerdings hilfreich sei.
Freudensprung wußte noch, wie er nervös dagesessen war, nur auf den Augenblick wartend, das Gespräch herumzureißen. Familiengeschichten interessierten ihn nicht. Nie
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