Komoedie des Alterns
schön, also sehr wichtig sei. Doch zuvor das Üben! Allein, ohne Klavierbegleitung, auf der Geige eine Schubert-Sonate zu spielen, das sei ein Segeln von einer winzigen Geigen-Insel zur anderen in einem riesigen Klavier-Meer.
Heinrich hatte der Mutter die leeren Teller gereicht, sie legte sie in ein Schaff und goß heißes Wasser darüber. Er spiele, fuhr er fort, lieber Beethoven. Hier dominiere zwar ebenfalls das Klavier, doch sei Beethoven ein gerechtigkeitsbesessener Revolutionär gewesen, der auch die Geige habe leben lassen, und nicht aus Pflicht, sondern aus Vergnügen.
Sie gingen in den ersten Stock. Zacharias habe gesehen, sagte Heinrich, daß das Haus noch nackt dastehe, ohne Außenputz. Und im ersten Stock gebe es nur ein Zimmer, seines, der Rest sei Baustelle und werde das noch lange bleiben. Seine Eltern und er hätten das Haus mit eigenen Händen erbaut, es sei stets nur das Allernotwendigste gemacht worden, denn es habe an Geld gefehlt, der Vater sei Arbeiter bei der Firma Böhler, Schlosser, er verdiene weniger als die Hilfsarbeiter im Stahlwerk.
Sie standen in Heinrichs Zimmer: einer Mansarde, die Wand, über der das Dach des Hauses lag, war im oberen Drittel abgeschrägt; Bett, Schrank, Bücherregal, Notenständer, Tisch; auf dem lagen die Geige und zwei Schreibhefte. Das eine, erklärte Heinrich, brauche er für Notizen zu einer Erzählung, das andere für Skizzen zu Theaterstücken, Dramen, die in völligerAbgeschiedenheit spielten, auf einem Gletscher oder in einem Turm, und in denen ein Siebzehnjähriger, vermutlich Heinrich selbst, die ideale Geliebte suche, in denen aber auch eine Siebzehnjährige sich auf der Suche nach dem idealen Mann befinde. Bis zu diesem Tag hätten weder das Mädchen noch der Bursch das Glück gefunden. Er arbeite aber unverdrossen an diesen Stücken weiter.
Wie das ersehnte Mädchen aussehe, fragte Zacharias. In jeder Szene anders, antwortete Heinrich, groß, klein, kichernd, ernst, blond, schwarz; was der junge Mann suche, sei offenbar kein Schönheitsideal. Darauf Zacharias: Wahrscheinlich suche er überhaupt kein Ideal. Das, sagte Heinrich, sei gut möglich. Er selbst wisse gar nicht, was ein Ideal sei. Zacharias dachte nach; er schien es auch nicht zu wissen.
Er sah die Tür zu dem kleinen Balkon offen stehen, trat hinaus und zeigte sich entzückt von den Bergen ringsum. Heinrich wandte ein, daß diese von Wäldern, vor allem von Fichten überzogenen Hänge und Kuppen nur an einem Tag wie diesem, einem Sonnentag, freundlich wirkten, weil sie dann nicht, wie sie das sonst täten, alle Helligkeit absorbieren könnten, erst recht an trüben Tagen, an denen sie sogar das bißchen Licht schluckten, das die von einem Bergkamm zum anderen gespannten Wolken durchließen.
Ob Zacharias, fragte Heinrich, diesen großen kahlen Hang sehe. Zacharias nickte. Die Bäume seien vor zehn Jahren niedergebrannt, fuhr Heinrich fort. Jeder in der Stadt, der genug Kraft gehabt habe, sei mit Schaufel und Krampen ausgerückt, um mitzuhelfen, einen Graben um den brennenden Berg zu ziehen, damit das Feuer sich nicht auf die nächsten Berge oder gar aufs Talausbreiten konnte. Wenn Zacharias nichts anderes zu tun habe, könnten sie jetzt den Hang hinaufgehen, es gebe dort eine Stelle, von der aus man den Hochschwab sehen könne, einen richtigen Berg.
Jetzt? fragte Zacharias. Heinrich nickte. Ob man dazu Bergschuhe brauche? – Sie könnten so gehen, wie sie hier stünden. Mit Sandalen? fragte Zacharias. Besser als barfuß, gab Heinrich zur Antwort, und sogleich verließen sie das Haus, nach ein paar hundert Metern waren sie bei der Pötschen, von wo es hinaufging auf die Fischerwand. Auf dem Weg, sobald sie bergauf stiegen, forcierte Heinrich das Tempo, um zu sehen, ob der junge Mann aus dem Wüstenland mithalten konnte, der aber hatte nicht nur kein Problem, an Heinrichs Seite zu bleiben, er plauderte selbst dann noch munter dahin, als Heinrich, um Zacharias herauszufordern, von dem serpentinenartig angelegten Weg abwich und eine Abkürzung nahm, also den kerzengeraden, steilen Steig, auf dem dann Zacharias hinter ihm ging, jedoch, während Heinrich bereits schnaufte und nicht sprechen konnte, weiterplauderte, als spazierten sie eine Uferpromenade entlang.
Auf Heinrichs Notenständer sei, sagte Zacharias, eine Sonate von Beethoven gelegen. Heinrich blieb stehen und holte Atem. Die Frühlingssonate, antwortete er. Technisch sei sie für ihn kaum zu bewältigen, was den Vorteil habe,
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