Komoedie des Alterns
daß sich ihm die Frage, wie die Sonate zu interpretieren sei, ob sentimental, Frühlingsgeräuschen nachempfunden, oder in kalter Virtuosität, gar nicht stelle. Dennoch habe er sich in der Musikschule verschiedene Schallplattenaufnahmen angehört. Ausnahmslos seien diejenigen Geiger, die auf Virtuosität setzten, geigentechnisch schwach und täuschten Virtuosität nur vor,während bei den anderen die Technik so perfekt sei, daß sie die schwierigsten, ihm unspielbar scheinenden Passagen mit Leichtigkeit und auch noch schön spielten, wobei scheinbar ungewollt der Eindruck entstehe, man höre, wie am Winterende der Frühling sein Recht einfordere: nach Möglichkeit sanft, wenn es sein muß, entschieden, also ganz in der Art Beethovens.
Zacharias fragte, wo Heinrich das Geigenstudium betreibe, wer der Lehrer sei. Heinrich winkte ab. Von Studium könne keine Rede sein, er besuche die Musikschule in Kapfenberg seit seinem fünften Lebensjahr. Er vermute, es habe vor dem Krieg keine Musikschule in dieser Stadt gegeben, sie sei 1946 gegründet worden, neben der Fabrik in einer Baracke, in der während des Krieges Zwangsarbeiter untergebracht waren.
Zacharias sagte sehr bestimmt, als würde er ein ehernes Gesetz formulieren, so müsse es sein, man müsse mit der Gründung einer Musikschule beginnen, alles andere ergebe sich von allein. Diese Art zu sprechen, erinnerte Heinrich sich, habe ihm außerordentlich gefallen.
Sein Geigenlehrer habe sich zu Recht auf diejenigen Schüler konzentriert, die das Geigenspielen zum Beruf machen wollten, was Heinrich nie angestrebt habe. Mit zehn, elf hätte er gern komponiert, doch es gab daheim kein Klavier. Es sei notwendig gewesen, das Haus zu bauen, an die Anschaffung eines Pianinos war nicht zu denken, er aber, vielleicht sei das eine Ausflucht gewesen, konnte sich das Komponieren nur vorstellen mit Hilfe eines Klaviers.
Sein Lehrer habe sechs Schüler gehabt, sechs in dieser kleinen Industriestadt, die im Alter von vierzehn Jahren entschlossen waren, Geiger zu werden, und der Lehrersei Fachmann genug gewesen, um ihnen zu raten, neben dem Unterricht in Kapfenberg noch das Konservatorium in Graz zu besuchen, was sie taten und was ihre Eltern auch finanzieren konnten. Seine Eltern wären dazu nicht in der Lage gewesen. In der Musikschule Kapfenberg, sagte Heinrich, habe es mindestens dreißig Buben gegeben, später seien zwei Mädchen dazugekommen, die Geige gelernt hätten, neben seinem Lehrer hätten drei ausgezeichnete Geigerinnen unterrichtet. Er erzähle das Zacharias, dem Ortsfremden, als spräche er über eine längst vergangene Zeit und einen sagenumwobenen Ort, in dem einstmals nur zwei Bevölkerungsgruppen gelebt hätten, Stahlarbeiter und Geiger.
Ende Oktober, sagte Heinrich, gebe er in der Musikschule mit der Frühlingssonate seine Abschiedsvorstellung. Er sei jetzt schon aufgeregt. Unmittelbar vor einer Vorspielstunde aber seien seine Finger so feucht, daß er sich frage, wie er auf den Saiten die Töne finden werde, wie er den Bogen halten solle. Er könne das Stück nur dank übermenschlicher Anstrengung spielen. Der kleinste Fehler, der ihm unterlaufe, eine unsaubere Intonation, die er sich vielleicht nur einbilde, führe dazu, daß er sich während des gesamten Spiels nicht mehr beruhigen könne und am Ende seines Vortrags nur den Wunsch habe, in den Boden zu versinken. Erst der Applaus eines wohlmeinenden Publikums hole ihn langsam ins Leben zurück. Einmal noch, sagte Heinrich, setze er sich dem aus, und da wolle er gut vorbereitet sein. Deshalb übe er den ganzen Juli jeden Tag mindestens zwei Stunden, egal, wie sehr die Arbeit in der Fabrik ihn auch anstrenge. Im August sei er nämlich nicht zu Hause.
Der Weg verengte sich wieder zu einem Steig, Heinrichals Ortskundiger ging voran. Zacharias sagte, Heinrichs Eltern seien wohl sparsam, aber auch sehr großzügig. Heinrichs Mutter habe ihn bewirtet, als sei er erwartet worden, er habe sich wie ein Geburtstagskind gefühlt. Heinrich antwortete, selbst ihm sei unklar, wie Mutter das zuwege bringe. Seine Eltern hätten sehr selten Besuch, nur hin und wieder komme ein Verwandter vorbei, der sich auf der Durchreise befinde, oder ein Arbeitskollege des Vaters bringe etwas, was man für die Fertigstellung des Hauses brauche, Beschläge für die Kellerfenster, ein Eisengestell, das vorerst als Garderobe diene, und jedesmal werde der unerwartete Gast zu Tisch gebeten, im Handumdrehen werde ihm eine Suppe serviert,
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