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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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auszugeben.
    Der Ausweg war gefunden worden, indem der für die Kokillenreinigung zuständige Arbeiter die Kokille an der Krankette befestigte, der Kranfahrer sie durch schnelles Hin- und Herfahren zum Schwingen brachte und sie dann gegen einen Berg übereinandergestapelter, bereits gereinigter Kokillen knallen ließ, was bis in die Stadt und, in die entgegengesetzte Richtung, bis weit in das Thörltal hinein zu hören war. Anders als das Dröhnen des Erlach-Hammers war das ein hoher Klang, jeder im Stahlwerk, in den anderen Betrieben der Firma Böhler, in der Stadt und im weiten Umkreis kannte diesen Klang und brachte ihn in Verbindung mit dem Werk, und doch wußte außer den Stahlarbeitern und den mit ihnen verbündeten Ingenieuren niemand, woher dieses Geräusch rührte und mit welch aberwitzigem Tun es verbunden war.
    Als Freudensprung die Kokille durch die Halle fliegen sah, nie zuvor und nie in seinem späteren Leben hatte er Gefahr so unmittelbar, gewaltig und unberechenbar erlebt, sprang er Sarani nach und riß ihn zur Seite, denn seiner Wahrnehmung zufolge ging Sarani genau in der Flugbahn der Kokille, und kaum hatte er ihn zur Seite und dabei zu Boden gerissen, bohrte die Kokille sich in den gestampften Lehmboden.
    Gemächlich kam der Arbeiter, der für diese Ungeheuerlichkeit verantwortlich war, indem er die Krankette schlampig um die Kokille gebunden hatte, angetrottet,langsam fuhr der Kran über ihm zur Einschlagstelle, abermals wurde die Krankette befestigt, nun wohl umsichtiger, der Kran wandte einige Kraft auf, um die Kokille aus dem Boden zu ziehen, sie hatte sich, wie Freudensprung sah, einen halben Meter in den Lehm gebohrt. Hätte sie einen Menschen getroffen, wäre von ihm nichts, nicht einmal ein Blutfleck übriggeblieben, das Opfer hätte sich mit dem Lehm vollständig vermengt.
    Freudensprung saß auf dem Boden, Sarani hockte neben ihm und schaute entgeistert zur Einschlagstelle. Freudensprung ließ ihn hocken und ging zum Ofen, zur Schlacke, zu seiner Eisenstange, von wo aus er beobachtete, wie der Arbeiter einige Scheibtruhen Schotter brachte und damit das Loch im Boden füllte, dann eine Scheibtruhe voll Lehm auskippte, den er mit einer Schaufel plattschlug. Die lehmverschmierte Kokille, sie hing immer noch an der Kette, wurde vom Kranfahrer an jenes Ende der Halle befördert, wo die Werksfeuerwehr ihre Wasserschläuche liegen hatte.
    Der Arbeiter, ein alter, dürrer, gebückter Mann mit einem großen, langen Arbeitsschurz, ging mit den langsamen, großen Schritten eines Bergbauern bis zum Ende der Halle, nahm einen Feuerwehrschlauch, drehte den Hydranten auf und reinigte mit einem scharfen Strahl die Kokille, bis sie mattglänzend in ihrer ganzen Stahlpracht dahing und vom Kran zurückgebracht werden konnte auf den Berg von Kokillen, die auf den nächsten Abstich warteten. Es dauerte nicht lange, und das lärmende Ritual des Kokillen-Reinigens wurde fortgesetzt.
    Immer noch kniete Sarani auf dem Lehmboden. Ruhig, sofern man Schreckensstarre als Ruhe bezeichnen darf, schaute er den Verrichtungen des Arbeiters zu,überzeugt, wie er Freudensprung gleich darauf sagte, das Loch im Boden wäre beinahe sein Grab geworden, und dieses Grab werde nun zugeschüttet.
    Als er Freudensprung am Ofen ablöste, dankte er ihm für die Lebensrettung. Blödsinn, antwortete Freudensprung und schlug vor, diesen Disput nach Schichtschluß fortzusetzen. Doch kamen sie darauf nie mehr zu sprechen.
    Freudensprung erinnerte sich, daß er an jenem Tag nicht mit dem Rad nach Haus fuhr, sondern es schob. Neben ihm ging Sarani. Er wußte noch, daß sie die ganze Zeit schweigend nebeneinander spazierten.
    Heinrichs Mutter stand am Fenster und wartete, der Sohn kam einige Minuten später als sonst, sie machte sich bereits Sorgen – nicht um ihn, um das Essen. Sie erwartete ihn zehn nach zwei, und auf die Minute genau war die Mahlzeit fertig. Niemals außer an jenem Tag kam Heinrich zu spät. Essen zuzubereiten, das wußte er, war für die Mutter viel Arbeit, das Gemüse, das sie im Garten anbaute, mußte geerntet und geputzt werden, und wo ein Stückchen Erde brachlag, nachdem eine Salatstaude ausgestochen, Bohnen gepflückt worden waren, mußten sofort neue Pflänzchen ausgesetzt werden, denn der Kreislauf durfte nicht abbrechen, außer im Winter, und da nicht vollständig, denn Wintergemüse und Wintersalat wurden vom Vater, bevor der erste Frost kam, in einem eineinhalb Meter tiefen Erdschacht, der Salatgrube,

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