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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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wieder begonnen, bat Freudensprung im Brucker Espresso Dockl , wohin er seinen Freund Eichhorn auf ein Gläschen Inländer-Rum eingeladen hatte, einen Vertreter, der auf dem Nebentisch einen Packen Geschäftsunterlagen ausgebreitet und eine Packung Chesterfield liegen hatte, ihm eine von diesen schönen Zigaretten zu verkaufen. Der Vertreter war entweder geizig oder verdiente sehr schlecht, denn er schenkte Freudensprung die Zigarette nicht, sondern errechnete im Kopf den Preis einer Chesterfield. Freudensprung bezahlte sie auf den Groschen genau.
    Feuer lieh er sich von der Kellnerin. Den Rum rührte er noch nicht an, es könnte ja sein, daß er infolge ersten Rauchens, man hörte darüber wüste Geschichten, kotzen müßte, dann wäre es schade um das Getränk. Er sogden Rauch ein, vorsichtig zuerst, dann, als der unvoreingenommene Körper trotz der Warnungen des indoktrinierten Verstandes den Rauch der Zigarette freudig begrüßte, ja bejubelte, mit ein paar kräftigen Zügen und feierte diese Entdeckung einer neuen Welt, indem er den Rum in einem Zug austrank.
    Im Stahlwerk konnte er nicht einfach eine Packung Zigaretten bei sich tragen, sie wäre in der schweißnassen Hosen- oder Hemdtasche bald aufgeweicht und zum Wegwerfen gewesen. Die kleine Holzschachtel war die Lösung. Er rauchte die Zigarette, eine Chesterfield, zu Ende, es war kurz vor elf – Zeit, Sarani abzulösen. Der übergab Heinrich die Eisenstange, der wiederum nahm sie und warf sie weg, sie war, da beim Schlackenfischen Stück für Stück von der Stange abbrach, bereits zu kurz geworden, legte eine neue auf dem Ofenrand zurecht und schüttete, was an Chemikalien bereitstand, in den brodelnden Stahl, ehe er die eigentliche Arbeit aufnahm.
    Da hörte er ein vertrautes Geräusch – eine Kokille prallte gegen eine andere –, an das er sich dennoch nicht gewöhnen konnte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Kokille, sah, wie sie sich von der Krankette löste und als tödliches Geschoß durch die Halle flog, direkt, wie ihn dünkte, auf Sarani zu. In riesigen Sätzen – die Holzschuhe erlaubten es nicht, normal zu laufen –, sprang er ihm nach.
    Heinrich Freudensprung blickte aus dem Fenster des Flugzeugs und dachte, auch daran werde er sich nicht gewöhnen, daß er, wann immer er aus einem Flugzeugfenster schaue, Wasser sehe. Und war doch mit seinen Gedanken im Stahlwerk. Wenn eine Kokille gegen die andere schlug, verursachte das kein Geräusch, sonderneine Explosion, ohrenbetäubend, die ganze Halle durchdringend, einen Höllenlärm, der schmerzhaft in den Körper drang. Diese Lärmattacke fand nicht in jeder Schicht statt, doch wenn sie einmal begann, dauerte sie eine Stunde.
    Die Kokillen sahen aus wie mannshohe Stahlvasen, die Wände der Behälter waren ebenso wie der Boden aus zwanzig Zentimeter dickem Stahl, nach unten liefen die Behälter konisch zu, oben waren sie quadratisch und offen, eine Innenseite maß einen halben Meter. Der Stahl eines Hochofens oder eines Hochfrequenzofens wurde, sobald er fertig gekocht war, in jene Behälter gegossen. Wenn eine Kokille voll war, stoppte man das Ausfließen des Stahls aus dem Ofen, der Kran hob die Kokille beiseite und stellte eine leere vor die Abstichrinne. War der Stahl abgekühlt, drehte der Kran die Kokille um, mit der Öffnung nach unten, und der Stahlblock fiel heraus.
    Doch es blieben Stahlreste an den inneren Kokillenwänden, faustgroß mitunter, und um die zu entfernen, bedurfte es eines eisernen Schabers, der an einer Holzstange befestigt war. Mit diesem zu werken, war pro Schicht ein Arbeiter abgestellt, und der hätte, wollte er seine Arbeit ordentlich machen – und sie mußte ordentlich gemacht werden, denn nur glatte Innenwände der Kokille ermöglichten einen einigermaßen glatten Stahlblock –, acht Stunden lang als Maschinenmännchen rasend schnell funktionieren müssen, und selbst dann hätte er die ihm aufgetragene Arbeit nicht geschafft.
    Der Ausweg war vor weiß Gott wie vielen Jahren gefunden worden. Niemand im Werk, erinnerte Freudensprung sich, konnte sagen, wann die Arbeiter, um einem von ihnen die Arbeit zu erleichtern, eine Praxiseingeführt hatten, die jeden von ihnen in Lebensgefahr brachte. Tatsächlich wurden Jahr für Jahr einige Arbeiter getötet. Auch der Stahlwerksdirektor konnte Freudensprung nicht erklären, wie es möglich war, diese Todesfälle, die sich für einen Außenstehenden ausnahmen wie Fälle von Totschlag, als Arbeitsunfälle

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