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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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dann eine Hauptspeise, und, gelüste ihn danach, auch noch Palatschinken.
    Die merkwürdigsten Gäste hätten sie diese Ostern gehabt, sagte Heinrich. Eine Frau und ein Mann standen an einem frühen Nachmittag vor der Tür, direkt vor dem Haus parkte eine noble schwarze Limousine, der Mann trug einen Karton unter dem Arm, die Frau hielt einen Zettel in der Hand, von dem sie in holprigem Deutsch einfache Mitteilungen vorlas, zuerst der Mutter, die ihnen in der Tür gegenüberstand, dann, in der Küche, dem Vater und Heinrich. Daraus ging hervor, daß sich in dem Karton zwölf Flaschen Wein aus Bordeaux befanden und daß der Mann als französischer Kriegsgefangener im Stahlwerk Böhler Zwangsarbeit geleistet hatte. Er war Heinrichs Vater zugeteilt gewesen, und dieser hatte den Franzosen, der dem Hungertod nahe war, mit Brot und Speck versorgt.
    Sein Vater, sagte Heinrich, habe das Geschenk nicht annehmen wollen, er habe versichert, was er getan hatte,sei das Selbstverständlichste der Welt gewesen. Da habe die Mutter sich eingemischt, die beiden gedrängt, am Küchentisch Platz zu nehmen, und bald darauf sei das Essen auf dem Tisch gestanden, Gemüsesuppe mit Hühnerfleisch, dann Kaninchen mit Bratkartoffeln. Die Gäste hätten die Mahlzeit in ihrer Sprache und mit großen Gesten gelobt. Für alle, gewissermaßen als Jause, es sei vier Uhr nachmittags gewesen, habe es noch Palatschinken mit Marillenmarmelade gegeben und dazu – die Mutter habe sich nicht geziert, das Geschenk der Franzosen anzunehmen und eine Flasche zu öffnen – feinen Rotwein.
    Sie habe, als Heinrich das Glas in einem Zug leer trank, Vater einen besorgten Blick zugeworfen, schließlich sei die Mutter, die zwar aufzutischen und einzuschenken verstehe wie niemand sonst, auch ein äußerst sparsamer und Heinrich gegenüber strenger Mensch. Der Vater, ein von den Lebensumständen und seiner Frau beeinträchtigter Genießer, habe auf den besorgten Blick mit einem belustigten Lächeln reagiert.
    Es hätte, fuhr Heinrich fort, ein schöner Nachmittag werden können, wäre der Vater nach dem Essen nicht abrupt aufgestanden und weggegangen. Heinrich sei darüber nicht verwundert gewesen, er habe gewußt, daß Vater Gespräche über die Nazizeit verabscheue, selbst die Erinnerung daran, daß er anderen geholfen, sie wahrscheinlich vor dem Hungertod bewahrt habe, den ihnen die Nazis zugedacht hatten, sei ihm unangenehm gewesen. Denn nach seiner Erfahrung, so habe er behauptet, sei mit der militärischen Niederlage der Nazis die Nazizeit nicht zu Ende gewesen. Die Nazis, immerhin international anerkannte Verbrecher, seien präsent bis indie Spitze des Staates, von der Leitung des Stahlwerks Böhler nicht zu reden. Er habe unter Anleitung genau jener Nazis, die das Land zugrunde gerichtet hätten, dieses wieder aufbauen müssen.
    Verwirrt und traurig, fuhr Heinrich fort, seien die Franzosen zu ihrem Auto gegangen, er aber habe sich in sein Zimmer zurückgezogen, es sei Dienstag nach Ostern gewesen, der letzte Tag der Ferien, und habe niedergeschrieben, was die beiden Franzosen seiner Ansicht nach über die gastfreundliche Mutter und den abweisenden Vater gedacht hätten.
    Der Franzose, habe Heinrich geschrieben, sei bei seiner Meinung geblieben, daß dieser Mann ihm geholfen und dabei das Leben riskiert habe, darum gehe es, und nicht darum, wie er sich, ohne sich mit ihm verständigen zu können, nun verhalte; die Französin blieb dabei, sie sei mit ihrem Mann nun acht Tage durch Österreich gereist, sie habe keine einzige unfreundliche Österreicherin und ausschließlich verbitterte Österreicher getroffen; der Franzose habe sich das damit erklärt, so habe Heinrich geschrieben, daß die Nazis verbittert seien, weil sie den Krieg verloren, und daß die Antifaschisten verbittert seien, weil die Nazis trotz des verlorenen Kriegs immer noch das Sagen hätten.
    Er wüßte gerne, habe Heinrich in sein Heft geschrieben, warum die Frauen, die doch ähnliche Erfahrungen gemacht haben müßten, anders seien. Vielleicht weil sie nicht im Krieg gewesen, vielleicht weil sie von der Gestapo nicht so unerbittlich verfolgt worden seien wie die Männer. Da sei ihm eingefallen, daß die Nazis nicht einmal davor zurückgeschreckt waren, Kinder zu ermorden.
    Ob Zacharias, fragte Heinrich, dort drüben den merkwürdigen Felsen sehe, der sich ausnehme wie ein riesiger Kopf. Zacharias nickte. Vom Scheitel dieses Kopfes, sagte Heinrich, und nur von dort, könne man den Hochschwab

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