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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Nein. Zu sehr ist der Mensch Teil der Naturgeschichte, Kreatur, als daß er Herr über alles Leben sein könnte. Wieerst soll er Herr der Welt sein? Und soll er die Welt verändern? Unbedingt, aber nicht, indem die Neuerung von heute die Neuerungen von gestern, das wenige an Freiheit, an Recht, an Demokratie, abschafft.
    Sie sprachen ähnlich, aber, vermutete Sarani, sie dachten unterschiedlich. Schließlich waren sie unterschiedlich, wenn nicht gegensätzlich begabt, der Österreicher ein Schriftsteller und Philosoph, Sarani ein Ingenieur und Geschäftsmann. Doch in ihren Gesprächen und Briefen kehrten sie nicht ihre Stärken hervor, Sarani bemühte sich sogar, auf dem Gebiet des anderen zu bestehen, vertiefte sich in die Geheimnisse der deutschen Sprache und schrieb und sprach dem Freund zuliebe das Deutsche bald besser als die meisten Deutschsprachigen.
    Hatte aber der Österreicher sich für Naturwissenschaften, Technik, Industrie interessiert? Wohl nicht. Wahrscheinlich hatte er sich Saranis Welt der Wissenschaft und der Wirtschaft heuchlerisch angebiedert, nur um sie mit seiner Welt, der des Geistes, zu zerstören. Das war ihm gelungen. Gewiß war er auf Saranis Welt, die materielle, die alle nährt, immer eifersüchtig gewesen. Vermutlich hatte er die Untat, die Zerstörung der Akademie, nur begangen, um Sarani weiszumachen, Freudensprungs Welt sei stärker als die Saranis. Und mit seiner Welt mußte er auch ihn, den Freund, vernichten. Tragisch, nein, komisch, daß Sarani diesen Plan erst jetzt erkenne und durchschaue.
    Die Hoffnungslosigkeit, die ihn niedergedrückt hatte, begann, seit er sie ergründete, allmählich belebend zu wirken, sie nahm Gestalt an, wenn auch nur die der Ausweglosigkeit, beides aber, Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit, bildeten ein logisches System, alsdessen Opfer Sarani sich sah. Der Österreicher, ein wahrer Teufel, hatte es von Anfang an darauf abgesehen, Sarani, nein nicht zu vernichten, sondern zu besiegen, nein nicht zu besiegen, sondern vernichtend zu schlagen. Diese Überlegung gab dem logischen System neue Nahrung, es wurde noch logischer.
    Sarani erinnerte sich, immer Zweifel gehabt zu haben, daß die Freundschaft zwischen ihm und dem Österreicher von Bestand sein könne, er hatte aber, und das war ausschließlich seine Schuld, über diesen Zweifel eine wundersame These gestülpt, die ihm so gefallen hatte, daß der Zweifel erstarb; die These, es gebe eine tiefe Klassenverbundenheit zwischen ihm, dem Aristokraten, und dem Österreicher, dem Sohn von Proletariern, denn nur zwei Klassen, die nichtarbeitende und die arbeitende, würden in der Geschichte eine Rolle spielen, das Bürgertum sei eine Übergangserscheinung, die nur existiere, damit es in der Geschichte auch ein Beispiel dafür gebe, wie die Welt von Gangstern an den Rand des Untergangs getrieben werde. Zum Glück nur an den Rand.
    Denn der Bourgeoisie fehle es nicht nur an Lebenslust, sondern auch an Todessehnsucht. Der Bürger organisiere unermüdlich Arbeit, wobei er sich begünstige, den andern übervorteile. Er verwalte Tag und Nacht die Welt, die er als ein einziges riesiges Geschäft betrachte. Wohingegen Sarani Geschäfte nur betreibe, um herauszufinden, wie die Geschäftemacherei zu überwinden sei. Das, vermutete Sarani, scheine ihm der Österreicher nicht zu glauben, er halte ihn offenbar für einen ordinären Bourgeois – dieser Kunstprolet, der an der Revolution nur die Destruktion der alten Welt liebe, nicht auch die Konstruktion einer neuen.
    Nun durchschaue er ihn und werde nicht länger das Opferlamm sein. Sondern was? Von dieser Frage lenkte er sich mit der Überlegung ab, was nun geschehen werde. Habe der Österreicher, was Sarani nicht annahm, sich im Flugzeug aus New York befunden, so werde er bald vor ihm stehen. Freudensprung werde Saranis Blick ausweichen, werde zu Boden schauen und von seinem schändlichen Verrat sprechen.
    Sarani werde es kurz machen. Denn es dürfe nicht sein, daß Freudensprung, das Haupt heuchlerisch gesenkt, die Sache auf den Kopf stelle, um Verständnis bettle, wohl mit dem Argument, er leide unendlich unter dem, was er getan habe. Der Unverschämte habe in dem Telefonat, erinnerte Sarani sich, von seinem, ja, von seinem Leid gesprochen. Das werde Sarani sich nicht nochmals bieten lassen.
    Für den unwahrscheinlichen Fall, daß der Österreicher tatsächlich nach Kairo gereist sei, hatte Sarani einen Plan, von dem er so besessen war, daß er ihn fortwährend

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