Komoedie des Alterns
schreiben, was dort reformiert gehöre.
Sarani war Derartiges nie zu Ohren gekommen. Beschämt stellte er die Arbeit an dem Buch ein und besprach sich mit dem österreichischen Freund. Sie waren bestürzt, wie einfach und ganz in ihrem Sinn die Lösung des Problems war: Reformen in Ägypten müßten gemacht werden. Wenige Monate später saßen sie auf dem Wüstengrundstück, Sarani mit seiner Familie, Freudensprung war allein gekommen, also nicht für immer.
Erinnerungsselig und gedankenverloren saß Sarani auf der Betonbank und ließ Bilder aus der Gründerzeit der Farm vorüberziehen, Bilder, auf denen er nicht nur seine Familie und sich selbst, sondern auch den Österreicher agieren sah – als denjenigen, der in der schwierigen Anfangszeit Saranis Kinder, dessen Frau, aber auch die anderen Mitstreiter aufrichtete, indem ausgerechnet er, der Bergbewohner, so tat, als wäre die Wüstenhitze nicht weiter beschwerlich. Saßen die andern im Schatten und schienen dort umzukommen, hielt er sich, auch mittags, in der Sonne auf, half Bretter zuzuschneiden für die Wohnbaracken, wenn er nicht gerade an der Steinmauer arbeitete.
Sarani schüttelte es vor Abscheu. Das Verfluchte an der Erinnerung sei, dachte er, daß sie sich, anders als sie verspreche, nicht mit der Vergangenheit bescheide. Einen Moment überlegte er, sich den Satz zu notieren als Material für den nächsten Brief an den Freund. Aber er hatte keinen Freund mehr. Wie lange es wohl dauern werde, fragte er sich, bis er sich mit dieser Tatsache abfinde. Er befahl sich: Keine Notiz! Und ließ die Vergangenheit den unvermeidlichen Schritt in die Gegenwart tun.
Johanna, längst erwachsen, hatte sich für die Farm entschieden. Die Farm gab es, die ließ sich beurteilen, dafür konnte man sich entscheiden oder auch nicht. Die Tochter hatte es, das räumte Sarani ein, leichter als der Sohn. Sarani ging in Gedanken einen Schritt weiter: Die beiden Frauen in der Familie, Mutter und Tochter, hatten es überhaupt leichter als er und der Sohn. So eindeutig und einseitig hatte er die Familienverhältnisse noch nie gesehen. Seine Frau und die Tochter waren seiner Ansicht nach begabter als die beiden Männer, ja, Zacharias Sarani sah sich in diesem Augenblick als windigen Pläneschmied, der es gerade einmal zu Skizzen für unsichere Vorhaben gebracht hatte.
Sophie mußte, bei der Gründung der Grazer Firma war das schon so gewesen, die Skizze weiterdenken zu einem Plan, der diesen Namen auch verdiente. Die Tochter, dachte Sarani, ein Abbild ihrer Mutter nur insofern, als sie die Mutter in allem übertraf, an theoretischer und praktischer Intelligenz, an Musikalität, an Schönheit, erfüllte mit großer Selbstverständlichkeit seine Träume, ohne mit ihm darüber zu sprechen, einmal hatte er sogar den Verdacht gehabt, sie tue das aus Mitleid mit ihm. Sie vergrößerte fortwährend die Farm, den Umsatz, denGewinn, die Zahl der Mitstreiter, die Zahl der sozialen Einrichtungen und verfolgte parallel dazu das Ziel des Vaters, eine Vergesellschaftung des Betriebs zu erreichen, schneller, als er das zu hoffen gewagt hatte.
Die Farm war allerdings wohletabliert, als Johanna sie übernahm. Eine Akademie, die David hätte übernehmen können, gab es nur als Plan, und dem war David bis vor wenigen Monaten zugetan gewesen. Sarani – auf die Ankunftshalle brannte die Spätsommersonne herunter – fuhr sich mit der kalten Hand über die eiskalte Stirn. Sie war trocken. Die Wangen waren naß. David, der Sohn, lag zerschmettert auf dem Grund von Saranis Seele, als tote Hoffnung. Der Österreicher, dachte Sarani, habe ihm den Sohn abspenstig gemacht, ihn gegen den Vater aufgehetzt, ihn veranlaßt, Ägypten ohne ein Wort der Erklärung zu verlassen. Er habe ihm den Sohn weggenommen und so die Akademie zu Fall gebracht.
Da stellte sich ihm eine Frage. Der Österreicher könne nicht von einem Tag auf den anderen ein derartiger Schuft geworden sein. Sarani hatte das Empfinden, als gehe ihm ein Licht auf. Es war das Irrlicht der Selbstbezichtigung. Er, Sarani, sei selbst an allem schuld. Vierzig Jahre lang habe der andere ihm Freundschaft vorgegaukelt. Wie könne man so dumm sein, so gutgläubig, das nicht bemerkt zu haben?
Sarani erinnerte sich, seit den Jugendtagen der beiden Freunde eine sehr bestimmte Vorstellung von dieser Freundschaft gehabt zu haben. Grundlage war eine ähnliche Sicht der Dinge. Gott? Nein. Diese Frage war für beide erledigt. Der Mensch an der Stelle Gottes?
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