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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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entschieden. – Sie entflochten die Kleidungstücke, die als Seil gedient hatten, zogen sich an und kletterten und sprangen den Felskopf hinunter.
    Beim Abstieg ins Tal fragte Heinrich, warum Zacharias Maschinenbau studieren wolle. Nichts, antwortete Zacharias, fasziniere ihn so sehr wie die Industrie. Schon als Grundschüler habe er – Zeitungen und Zeitschriften aus aller Welt seien im Elternhaus zuhauf umhergelegen – Fotos von Industrieanlagen gesammelt, von Produktionsstätten für Autos, für Flugzeuge, für Schiffe, Fotos von der Bauindustrie, die Hochhäuser und Staudämme errichte, Fotos von der Agrarindustrie, die über Mähdrescher verfüge, groß wie Moscheen. Und die Substanz der Industrie sei die Maschine. Sie und die aus ihr entspringende Industrie, fuhr er fort, seien vergleichbar mit der Waffe und dem Krieg.
    Das verstehe er nicht, sagte Heinrich. Er auch nicht, antwortete Zacharias; das habe mit der Doppeldeutigkeit der Dinge zu tun. Die Waffe sei hilfreich, um sich zu verteidigen, sie könne das Leben sichern, aber auch vernichten. Mit der Maschine sei es ähnlich. Sie könne das Leben sichern, sie vermöge Lebensgüter in großer Menge herzustellen, sei allerdings auch eine Bedrohungaller, die sie nicht besitzen, denn der Maschinenbesitzer stelle Güter her, um sich zu bereichern, wodurch die anderen verarmten.
    Er hatte, erinnerte Freudensprung sich, eine einfachere Sicht der Dinge gehabt. Die Welt bestand für ihn aus arm und reich, aus dem Vater, der viel arbeitete und wenig verdiente, aus dessen Vorgesetzten, die in Heinrichs Augen wenig taten und viel verdienten, und aus den Bürohengsten, die den Arbeitern finanziell davongaloppierten.
    Weil Heinrich es nicht wagte, Zacharias diese Weltsicht darzulegen, fragte er ihn, wie es um die ägyptische Industrie bestellt sei. Die habe, sagte Zacharias, mit dem Pyramidenbau geendet. – Ach, und warum? – Er wisse es nicht, antwortete Zacharias, er habe nur eine Vermutung. Der Bau der Pyramiden sei wahrscheinlich die größte industrielle Leistung der Antike und doch nur eine Gräberindustrie gewesen. Zahllose Generationen hätten ihr Wissen, ihr Können, das es außerhalb Ägyptens nicht gab, und ihre Arbeitskraft in einen Totenkult investiert. Das räche sich noch nach Jahrtausenden. Was man übrigens auch über die heutige Industrie der ersten Welt bald sagen werde. Bei ihr handle es sich um eine ebenso gigantische wie blinde Produktion, nur nicht im Auftrag der Priester-, sondern der Kapitalistenklasse.
    Maschinen, sagte Zacharias, in der Hand einer Klasse, die sich nur dadurch auszeichne, im Besitz von Maschinen zu sein, mit denen der Rest der Bevölkerung arbeiten müsse, um Lohn zu bekommen, solche Maschinen seien – das klinge merkwürdig, doch er als Techniker wisse, wovon er rede – auch technisch rückständig, sie dientennicht nur, aber vor allem der Kapitalvermehrung. Aus diesem Teufelskreis müsse man ausbrechen. Er werde andere Maschinen konstruieren und bauen und schließlich in Betrieb nehmen.
    Heinrich, so erinnerte er sich, hatte Zacharias bewundernd und verständnislos angeschaut, woraufhin der nachsichtig über etwas anderes sprach. Er wollte wissen, warum Heinrich, der offensichtlich nicht die Absicht habe, Techniker zu werden, in den Ferien im Stahlwerk arbeite. Er brauche Geld, sagte Heinrich, um im August in die Hohen Tauern zu fahren. Was allerdings nicht viel kosten werde. Und er brauche Geld, um sich im Herbst ein Sakko zu kaufen. Es hänge bereits im Schaufenster eines Modegeschäfts in Bruck, er wolle es Zacharias zeigen, er sei neugierig, ob es ihm gefalle.
    Zacharias hatte schallend gelacht. Wieder schaute Heinrich ihn verständnislos an. Zacharias entschuldigte sich. Er sei, sagte er, ein Produkt seiner Herkunft. In seiner Familie habe niemand gearbeitet. Er habe selbstverständlich gesehen, wie andere Leute arbeiten, auch wie sie sich schinden würden. Noch nie aber sei ihm jemand begegnet, der gesagt habe, er arbeite nur, um eine bestimmte Sache, zum Beispiel ein Sakko, zu kaufen. Gewöhnlich müsse man immer arbeiten – oder sei arbeitslos.
    Es wäre doch schön, sagte Heinrich, würde man nur arbeiten, wenn es unbedingt notwendig sei. Das wäre zu schön, sagte Zacharias, doch die Lohnarbeit trage eben nur so viel ein, daß man immer arbeiten müsse. Wie dem auch sei, sagte Heinrich, ihn interessiere, wie Zacharias das Sakko gefalle. Die Grundfarbe sei Dunkelrot, der Stoff aber nicht glatt, sondern

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