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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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gleich bewegten und die gleichen Griffe und Tritte benutzten. Es gab offenbar nur eine Art, den Felskopf zu erklimmen.
    Er mußte erfahren, wie groß die Kluft zwischen Zuschauen und Nachahmen war. Daß er begriffen hatte, was zu tun war, nützte ihm nicht, wieder und wieder fiel er aus dem Überhang, oder er ließ sich fallen, weil ihn die Kraft in den Fingern verließ, und darin, aus der Wand auf den Boden zu fallen, ohne sich zu verletzen, erreichte er bald eine Meisterschaft, die er zwar nicht anstrebte, die ihn aber ermunterte, ohne Hast seine Versuche fortzusetzen. Nach Wochen merkte er, wie die Finger kräftiger wurden, der Körper entspannt blieb, sich nicht aus Angstund Ehrgeiz verkrampfte, und eines Tages war er plötzlich oben. Und vor ihm erhob sich der Hochschwab.
    Nun war Heinrich mit Zacharias auf dem Weg zum Felskopf. Sie hatten sich, außer Atem, auf den Stamm einer umgestürzten Lärche gesetzt, und Heinrich fragte, warum Zacharias ausgerechnet in Graz studieren wolle.
    Zacharias erzählte vom Tod des Onkels, der Brüder und der Eltern. Diese Eigenart Saranis, eine Frage zu überhören, wenn sie ihm belanglos erschien, lernte Heinrich mit der Zeit zu lieben. Er wiederum sagte, daß sie bald beim Felskopf seien, und riet Zacharias, sich von ihm helfen zu lassen; man könnte die Hosen und Hemden zu einer Art Seil zusammenknüpfen.
    Barfuß und in Unterhosen erreichten sie den Kopf. Nur zweimal, erinnerte Freudensprung sich, mußte Zacharias nach dem improvisierten Seil greifen, das Heinrich zum Überhang hinunterließ. Pathetisch zeigte Heinrich Richtung Hochschwab. Zacharias nickte nur. Sie setzten sich auf den warmen Kalkstein, und Heinrich sagte, es sei erstaunlich gutgegangen.
    Zacharias behauptete, kein Problem beim Erklettern des Kopfes gehabt zu haben. Er sei immer schon gelenkig gewesen, dazu dünn und zäh und klein. Heinrich wandte ein, Zacharias sei so groß wie er. Zacharias widersprach; er schätze, Heinrich sei ein Meter achtzig groß, er sei ein Meter zweiundsiebzig. Er wiege sechzig Kilo, Heinrich wohl an die siebzig. Schon als Kleinkind sei es ihm schwergefallen, ruhig zu sitzen, auf allem habe er geturnt, auf Sesseln, Sofas, die Welt habe für ihn nur aus Turngeräten bestanden, am liebsten sei er auf den Händen gegangen, im Haus die Stiegen hinauf und hinunter,aber auch auf der Straße, wieselflink habe er sich durch den Autoverkehr geschlängelt, er, der Sohn des höchsten Beamten. An eine Rüge des Vaters, gar der Mutter, könne er sich nicht erinnern.
    Heinrich gestand, nie versucht zu haben, einen Kopfstand zu machen, geschweige denn einen Handstand, eher hätte er sich den Kopf abschlagen lassen, als sich auf den Kopf zu stellen. Fürs Turnen sei er völlig ungeeignet und doch dem Sport zugetan, sofern es nicht um Verrenkungen gehe oder um Schnelligkeit. Lange Strecken zu laufen liege ihm, aber auch Bergsteigen, sogar Klettern, wenn es nicht extrem sei.
    Er verfluche manchmal, sagte Zacharias, seinen Körperverrenkungsdrang, der ihn daran hindere, so lange und kontinuierlich über seinen Studien zu sitzen, wie er das wünsche. Er habe in Kapfenberg in einem werkseigenen Haus ein Zimmer gefunden, im sogenannten Ledigenheim, das Zimmer sei so klein – offenbar gehe man davon aus, daß ein Lediger kein vollwertiger Mensch sei und deshalb zum Leben keinen Platz brauche –, daß er nach einer Stunde aus dem Zimmer hinaus und in den Wald laufe, einem Slalomfahrer gleich zwischen den Baumstämmen hin und her sause und, wenn er einen kräftigen Ast sehe, diesen als Reckstange benutze, woraufhin er sich von einem Ast zum anderen schwinge. Doch halte er ängstlich Ausschau, daß niemand ihn sehe, die Leute könnten sonst ihre Einschätzung, er sei ein Kameltreiber, revidieren und ihn fortan als Baumaffen bezeichnen. Er habe aber schon ein anderes Quartier gefunden, zwei Zimmer im Gasthaus Steiner .
    Heinrich fragte Zacharias, wie lange dieser vorhabe, im Stahlwerk zu arbeiten. Auf jeden Fall vier Wochen. –Und danach? – Keine Ahnung, die Hochschule beginne erst im Oktober. Vielleicht fahre er nach Salzburg zu den Festspielen, um sich den Wozzeck anzuhören. Oder, sagte Heinrich, Zacharias gehe mit ihnen – mit ihm und zwei Freunden – in die Hohen Tauern. Sie würden sie drei Wochen lang durchwandern und am Großglockner versuchen, die Eisrinne hinaufzukommen. Gern, antwortete Zacharias. Er müsse sich nicht sofort entscheiden, sagte Heinrich. – Er habe sich bereits

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