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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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memorierte. Er werde Freudensprung grußlos entgegentreten und sagen: Morgen um zehn Uhr dreißig im Hotel Marriott . Der Österreicher werde die ganze Nacht grübeln, was ihn erwarte. Er werde hoffen, daß Sarani ihm die Hand zur Versöhnung entgegenstrecke. Freudensprung werde sich getäuscht haben. Ein kurzes Nicken, das Gesicht unbewegt, so werde der Abschiedsgruß sein, eine rasche Kehrtwendung, ein entschiedenes Ausschreiten, hinaus aus dem Hotel, hinaus aus der Freundschaft.

7
    Das Hochgebirge
    Heinrich Freudensprung lief das Wasser im Mund zusammen, als dem Fluggast, der neben ihm saß, kalter Lachs serviert wurde. Freudensprung bildete sich ein, nicht Speichel, sondern Blut in seinem Mund zu schmecken, das infolge wochenlanger Unterernährung aus dem Zahnfleisch drang. Er wollte diesen Zerfall nicht gestört wissen, und so wehrte er mit zittriger Hand den Versuch ab, ihm einen Teller vorzusetzen, was der Steward, dem Freudensprung schon einmal als Störenfried aufgefallen war, mit verständnislosem Kopfschütteln quittierte, waren er und seine Kollegen doch bemüht, die Passagiere mit kleinen Köstlichkeiten für die Unterbrechung des Flugs zu entschädigen.
    Freudensprung hielt sich bereits für halbtot, gleichwohl erinnerte er sich an die Zeit, als er noch lebte und selbstvergessen den sinnlichen Genüssen zugetan war – nicht anders übrigens als Sarani, der damals, als sie auf die Fischerwand gestiegen waren und einander an Schnelligkeit und Ausdauer überbieten wollten, dann doch heftig keuchte, stehenblieb, um zu rasten, und sogleich über das Mittagessen bei Freudensprungs Eltern redete. Das wolle er ihn noch fragen: wie, bei dieser äußersten Kargheit der Lebensführung, Heinrichs Mutter solchen Überfluß herbeizaubere.
    Die Antwort sei einfach, antwortete Freudensprung: DasHaus stehe auf einem großen Grundstück, auf diesem wachse Gemüse, seien Obstbäume gepflanzt, und es stehe eine Hütte dort, die sei zur einen Hälfte Kaninchenzucht, zur anderen Hälfte Hühnerstall. Den Hühnern würden auch die Rasenflächen rund ums Haus gehören einschließlich des kleinen Rosenbeets, Kleinod des Vaters, der die Hühner, wenn sie dort scharrten, am liebsten erschlüge, doch die Mutter schütze sie. Sie seien nützlich, die Rosen nicht. Vater, hatte Heinrich gesagt, habe einen Hang zum Unnützen, Mutter vergötze das Nützliche – was den Vorteil habe, daß es an Fleisch und Gemüse nicht mangle.
    Sie waren weiter bergan gestiegen. Auf der Fischerwand erhob sich oben auf dem Grat ein Kalkfelsen in Gestalt eines schmalen Halses, auf dem ein großer Kopf saß. Für ihn, dachte Heinrich, sei dieses Gebilde aus Kalk der Beginn des Bergsteigens und Kletterns gewesen, wobei das klettertechnisch Interessante war, wie man vom Hals auf den Kopf gelangte, denn der Übergang war zugleich ein Über hang , ein kurzer zum Glück: Überhänge sind für Kletterer das Schwierigste und äußerst gefährlich, es ist, als müsse man sich auf einem Plafond fortbewegen. Der Überhang auf der Fischerwand jedoch war ungefährlich; scheiterte man, fiel man aus einer Höhe von drei Metern ins Gras.
    Der Felskopf war deshalb so anziehend, weil man, wenn man oben stand, einen Blick in eine andere Welt hatte. Der Hochschwab, fünfzehn Kilometer von der Fischerwand entfernt, war mit seinen weißen Kalkfelsen das strahlende Gegenbild zu den dunklen Wäldern rund um Kapfenberg, er war die Einladung, sich auf das Fahrrad zu setzen, ins Thörltal und von dort weiter entwederzum Bodenbauer oder in die Fölz zu fahren, und dann hinaufzusteigen, die Baumgrenze hinter sich zu lassen und endlich, was für ein Erlebnis für den Talbewohner, freie Sicht zu haben. Das konnte einen, erinnerte Heinrich sich, in einen Freudentaumel versetzen.
    Unvergeßlich war Freudensprung der Anblick der zwei Buben, die auf dem Felskopf standen und entzückt in die Ferne schauten. Da wollte er auch hinauf. Andere versuchten es ebenfalls, einmal, zweimal, dann resignierten sie.
    Oft hatte er sich in die Nähe des Felskopfes gesetzt und gewartet, bis ein Bub kam, der es schaffte, hinaufzuklettern. Das Warten war keine verlorene Zeit. Wenn er wanderte, ging ihm viel durch den Kopf, und er war froh, wenn er, sitzend und wartend, Muße hatte, den Gedankengang anzuhalten. Kletterte ein Bub über den Hals auf den Kopf, beobachtete Freudensprung jede Bewegung und prägte sich jeden Griff ein. Kam ein anderes Mal ein anderer, stellte Freudensprung fest, daß alle sich

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