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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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durchwirkt mit kleinen schwarzen Einsprengseln, dadurch werde das Rotgebrochen, es sei dezent und nicht auffällig, was für ein Sakko wichtig sei.
    Zacharias sagte, Heinrich spreche wie ein Modefachmann. Es werde sein erstes Sakko sein, antwortete Heinrich, wenn er von den merkwürdigen Anzugröcken absehe, die seine Großmutter aus Anzügen des verstorbenen Stiefgroßvaters geschneidert habe, ohne vom Schneidern viel zu verstehen; denn die Großmutter, die Mutter seines Vaters, sei der Ansicht gewesen, daß, was unbedingt zu machen sei, gemacht werden müsse, und wenn er für einen Vorspielabend einen Anzug gebraucht habe, so habe sie sich eben an die Nähmaschine gesetzt und einen genäht.
    Ob Heinrich das Sakko schon probiert habe, fragte Zacharias. Zum Glück, sagte Heinrich, passe es ausgezeichnet, es sei vom Frühjahr an drei Monate im Schaufenster gehangen, und erst als es eines Tages verschwunden war, sei er in das Geschäft gegangen und habe nach dem Sakko gefragt. Es sei das einzige Stück und nur in dieser einen Größe vorhanden, erfuhr er von dem Verkäufer. Heinrich sagte ihm zu, das Sakko zu kaufen, aber erst im September. Im Juli werde er einiges Geld in der Fabrik verdienen, im August sei er in den Bergen, im Oktober aber beginne der Schul-Tanzkurs, da brauche er das Sakko. Hier hänge es, sagte der Verkäufer, plazierte es am Ende einer langen Stange mit Steirerjoppen, und hier werde es auch im September noch hängen.
    Im Juli des Jahres 1958, so erinnerte Heinrich sich, war Zacharias im Haus der Freudensprungs immer wieder zu Gast. Ließ Zacharias sich auch nur drei Tage nicht blicken, fragte die Mutter schon, wo er denn bleibe. Sie schätzte es überaus, daß Zacharias ein technischesStudium anstrebte, und sie hoffte immer noch, irgend etwas oder irgend jemand könnte Heinrich von dem unseligen Entschluß abbringen, kein technisches Fach zu studieren. Aber sie war klug genug zu erkennen, daß Zacharias und Heinrich Freunde waren, was ausschloß, daß einer den anderen bekehren wollte.
    Der Vater hatte an Zacharias dessen technische Kenntnisse geschätzt, und er genoß es, wenn der Ägypter Fragen über Fragen zum Maschinenbau stellte, die der Vater bis ins kleinste beantworten konnte. Nebenbei erfuhr Heinrich, daß der Vater bis zum Beginn des Hausbaus – eine Strapaze, die den Bedürfnissen des Vaters völlig zuwiderlief, weil das Hausbauen ihn in der Freizeit zum Bauhilfsarbeiter degradierte – Fernkurse in Technik absolviert und entsprechende Zertifikate erworben hatte. Doch machte ihm auch dieses Fernstudium keine Freude mehr. Das erzählte er Zacharias – Heinrich durfte zuhören –, wenn Mutter in der Küche zu tun hatte. Vater war, wie er Zacharias unverblümt sagte, von der Entwicklung in Österreich so enttäuscht, daß er nicht nur politisch, sondern auch beruflich aufgab.
    Im Februar 1934, hatte der Vater erzählt, nahm er an der Seite von Koloman Wallisch an einem bewaffneten Arbeiteraufstand teil, nicht weil er sich als Revolutionär verstand, sondern weil es sich so ergab. Er war auf dem Weg in die Fabrik, die Aufständischen auch, da schloß er sich ihnen an, man hatte ja denselben Weg, er war im Umgang mit Waffen geschickt und kämpfte an der Seite der Aufständischen nicht ohne Erfolg. Kapfenberg war bald in ihrer Hand.
    Man zog weiter nach Bruck und nahm gemeinsam mit den dortigen Arbeitern die Stadt ein. Trotz Wachsamkeitund Kampfeslust herrschte unter den Aufständischen große Ausgelassenheit, denn Bruck war als Verwaltungsstadt das obersteirische Zentrum der klerikalfaschistischen Diktatur, die, erklärte Vater dem ägyptischen Gast, Österreich nicht nur dem Kapital, sondern auch der Kirche unterworfen und eine mittelalterliche Ständeordnung als Gegenmodell zum neuzeitlichen, also noch brutaleren Nazifaschismus in Deutschland errichtet hatte.
    Daß die Aufständischen den Brucker Herrschaften die Herrschaft entrissen hatten, erzählte der Vater, das empfanden sie als erheiternd, aber nicht lange. Mitten im Ort stand ein gewaltiges Gebäude, die Gendarmeriekaserne, wo in der vorangegangenen Nacht, um den Aufstand niederzuschlagen, Hunderte Gendarmen zusammengezogen worden waren. Also hieß das nächste Ziel, die Kaserne zu stürmen.
    Sie hatte nur einen Eingang, ein Tor, groß genug, damit ein Mannschaftswagen aus- und einfahren konnte, und es war nicht nur verriegelt, sondern auch noch aus Eisen. Man hatte ihn, sagte Vater, gefragt, ob er als Schlosser es öffnen

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