Komoedie des Alterns
Köper, so daß Heinrich ängstlich fragte, ob sie friere, doch sie zog ihn weiter. Im Gegenteil, sagte sie.
Und sie brachte, da sie an einem Kirchlein vorbeigingen – ein Schild wies die Glaubensrichtung als dänischkatholisch aus – das Gespräch auf die zahllosen, meist kleinen Kirchen in Manhattan. Es handle sich, sagte Heinrich, bei diesen Kirchen wohl um Museen, die an die Zeit der europäischen Einwanderer erinnerten, unter denen nicht wenige religiös Verfolgte waren.
Nein, sagte Lena, diese Kirchen, sie habe das beobachtet, seien, wenn sie das so ausdrücken dürfe, in Betrieb. Sie habe Messen besucht, auch Versammlungen der Kirchengemeinden, und gesehen, daß das Kirchleben blühe. Manhattans Gotteshäuser, klein, aber zahlreich, stünden Manhattans Straßen, was die Auslastung betreffe, um nichts nach.
Ach Gott, erwiderte Heinrich erschrocken, er habe gedacht, in New York sei Religion längst Folklore, in den Kirchen würden sich Volkstanzgruppen tummeln, deren Mitglieder es dann am Broadway zu Musicaldarstellern brächten, weshalb er der Meinung gewesen sei, das Musical, als Kind der toten Operette an sich eine Totgeburt, werde fortleben, bis die letzte New YorkerVolkstanzgruppe, jene der grönländisch-griechisch-muslimischorthodox-protestantisch-katholischen Kirche, auf ihrer Welttournee mit dem Musical Orpheus bei den Nibelungen zur Hölle fährt.
Endlich zu Haus, war Lena todmüde ins Bett gefallen. Heinrich hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und die Vermutung notiert, daß jene zahllosen Kirchen unzählige geistliche Schimmelpilze seien, welche die Hoffnung nicht aufgäben, den großen Käse Amerika einstens unter einer dicken Schimmelschicht zu begraben. Und er fragte sich, wie er so verblendet habe sein können, die USA als fruchtbaren Boden für Atheismus einzuschätzen. Da erinnerte er sich, Zacharias Sarani in der Jugendzeit gewissermaßen über den Atheismus kennengelernt und sich fortan mit der Frage nach dem Gottesglauben nicht mehr beschäftigt zu haben. Und er begann einen Brief an den Freund zu entwerfen.
Daß es keinen Gott gibt, notierte er, ist das Selbstverständliche, ist gesichertes Wissen. Damit aber über der Wahrheit die Lüge thronen kann, schafft man den Begriff des Glaubens. Der hat mit Wissen und Wahrheit nichts zu tun, was er, um sich als das Höchste zu postulieren, auch zur Schau stellt. Wir beide, schrieb Freudensprung, sahen Wissen und Wahrheit stets als endliche, nicht endgültige Phänomene an, die, kaum daß sie in die Welt treten, auch schon angezweifelt werden, wohingegen der Glaube den Zweifel nur als Sünde kennt und Gott als das vollkommene Wissen und die höchste Wahrheit: als das völlig Irrationale. Glaube ist Aberglaube.
Warum, schrieb Freudensprung weiter, ist das Selbstverständliche, daß es Gott nicht gibt, so wenig selbstverständlich? Weil Dinge, die es nicht gibt, niemandeninteressieren. Es gibt so vieles nicht, keinen Wassermann, keinen Engel, keine Fee, und es würde keinen Teufel scheren, trumpfte man mit der Behauptung auf, daß es keinen Teufel gibt, obwohl der in der Glaubenslehre einen ebenso sicheren Platz hat wie Gott.
Am nächsten Morgen, erinnerte Freudensprung sich, hatte Lena ihn gefragt, ob er seine New Yorker Freundin wiedergesehen habe. Nein, hatte er geantwortet, er habe deshalb ein schlechtes Gewissen. Er habe nicht einmal angerufen. Andrerseits: Er habe diese Frau geliebt, sie aber habe behauptet, diese Liebe sei an einem Streit zerbrochen. Woran er sich nicht erinnern könne. Er wisse auch nicht, ob er Zeit finden werde, die frühere Freundin zu sehen. O doch, antwortete Lena, und stur wiederholte sie: O doch.
Sie seien, erwiderte Heinrich, nur mehr eineinhalb Wochen in New York. Sollte Lena noch Zeit für sich allein haben wollen, könne er ihr, sagte er im Scherz, noch zwei, drei Tage geben. Die darauffolgende Woche aber, die letzte, wolle er mit ihr zusammen sein. Sie würden es sehr schön haben. Sie würden nicht von Abschiedsschmerz überwältigt sein, denn sie wüßten, sie kämen wieder. Wenn sie nicht überhaupt hierher übersiedelten. Lena hatte angedeutet, daß sie es einrichten könne, in New York zu arbeiten. Freudensprung ergänzte, er habe immer schon vorgehabt, seinen Lebensabend in New York zu verbringen, ein Herzenswunsch, den er wegen seiner Kinder und seiner Enkeltochter, die allesamt in Wien lebten, zurückgestellt habe.
Ob er mit seiner New Yorker Freundin nicht einmal telefoniert habe, fragte
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