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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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Lena. Er sagte, da dieses Thema doch erledigt war, gar nichts, schaute sie nur verwundertan, weil er sie als einen aufmerksamen Menschen kannte, der gewöhnlich eine Frage, die beantwortet worden war, nicht noch einmal stellte.
    Sie lächelte. Sie sah ihn an, wie ein Erwachsener ein Kind ansieht, das nicht durchtrieben, sondern unbeholfen gelogen hat: nachsichtig lächelnd. Und er dachte, womöglich vermute sie, daß er mit seiner früheren Freundin, die nur drei Subwaystationen entfernt wohnte, in Verbindung sei und mit ihr geschlafen habe. Er versuchte Lenas Lächeln zu enträtseln und schaute dabei auf jene leere, weiße Wand des Zimmers, auf der sonst seine Augen ruhten, wenn der Kopf von der Arbeit erschöpft war.
    Da sagte Lena, sie sang mehr, als sie sprach: An der Kreuzung habe sie gestanden, habe auf den LaGuardia Place gehen wollen, da sei ein Radfahrer auf sie zugeschossen, habe vor ihr abgebremst und sie angesprochen: Er heiße David, wie sie denn heiße? Lena. – Er habe ihr seine Telefonnummer gegeben, sie ihm ihre. Ob sie mit ihm Kaffee trinken wolle? – Nicht jetzt, habe sie gesagt. Er habe auf die Uhr geschaut. Es sei vier; vielleicht um fünf? – Nein, habe sie gesagt, um sechs.
    Warum er nicht reagiert habe, fragte Heinrich Freudensprung sich, an der Säule lehnend, die Augen geschlossen. Er konnte zwar nicht wissen, was man gegen ihn im Schild führte. Dennoch, warum habe er nicht reagiert, nur gefragt, ob sie den Radfahrer um sechs getroffen habe? Ja. – Welchen Eindruck habe er auf sie gemacht? – Er sei nett gewesen. – Sie werde ihn wiedersehen? – Nein. Heute nicht. Er könnte sich einbilden, sie sei an ihm interessiert. – Und morgen? – Lena sagte, sie habe Heinrich diese Geschichte nur erzählt, um ihn zu fragen, ob er morgen Zeit habe. Warum, fragteFreudensprung sich, habe er geantwortet, er sei mit seinem Übersetzer zum Abendessen verabredet? Warum habe er rasch hinzugefügt, der Übersetzer-Freund und er hätten zu arbeiten, das Essen gönnten sie sich nur nebenbei, neue Übersetzungsprobleme seien aufgetaucht.
    Das war eine Lüge. Er hatte sich mit niemandem verabredet. Lena bedauerte, nicht dabeisein zu können, sie hätte den Übersetzer, diesen liebenswerten und geistreichen jungen Mann, gern wiedergesehen. Selbstverständlich wolle sie bei der Arbeit nicht stören. Sie überlege nun aber doch, den spaßigen Kerl mit dem Rad noch einmal zu treffen, der halte sich übrigens in New York auf, um in Archiven Pläne abzuzeichnen von Bauten, die nicht mehr existierten.
    Sie traf ihn und kam um vier Uhr nachts nach Haus. Freudensprung wußte, er hatte verloren. Am Sonntag traf sie den spaßigen Kerl schon am Vormittag. Dienstags am Abend. Und am Mittwoch stellte sich heraus – Freudensprung ging um Mitternacht in die Pitti Bar , an seinem Tisch saßen Lena und ein junger Mann, Freudensprung erstarrte, der Anblick der beiden vernichtete ihn, er glaubte weinen zu müssen, doch die Tränen konnten nicht aus den Augen stürzen, auch sie waren erstarrt, er wandte sich ab und schlurfte mit winzigen Schritten, Zentimeter für Zentimeter, nach Haus, wo er nicht wußte, wie er es geschafft hatte, in seine Wohnung zu kommen, wo er noch den Entschluß faßte, sich aus dem Fenster zu werfen, jedoch zusammenbrach – am Mittwoch stellte sich heraus, daß Lenas Liebhaber David war, der Sohn des Zacharias Sarani.
    Eben hatte Freudensprung die knappste Fassung der Ereignisse zustande gebracht, die ihm je gelungen war. Sieerwies sich als äußerst effektiv. Freudensprung ging in die Knie. Größer als der Hieb, den die Erinnerung ihm versetzte, war jedoch die Angst, vom Flughafenpersonal aufgelesen, in einen Sanitätsraum, vielleicht sogar in ein Spital gebracht zu werden, und so riß er seinen Körper in die Höhe, taumelte, sich ganz aufzurichten, dazu reichte die Kraft nicht, zu einer Bank, setzte sich und seufzte auf. Gerade noch war er dem Schlimmsten entronnen, der sozialen und medizinischen Obsorge, er, der weder ein sozialer noch ein medizinischer Fall war, sondern ein Zerfallsfall.
    Erschöpft lehnte er sich zurück. Da es keine Lehne gab, klappte der Oberkörper nach hinten, die Hände aber klammerten sich geistesgegenwärtig an die Vorderkante der Bank, andernfalls Freudensprung nach hinten gestürzt wäre.
    Etwas war dennoch zu Boden gefallen, Freudensprung konnte sich nicht vorstellen, was es gewesen sein könnte, er trug ja nichts bei sich außer Paß und Geldbörse, und die

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