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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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steckten in den Hosentaschen. Er schaute zu Boden: Neben dem rechten Fuß lag der Leinenbeutel mit den Briefen, sein einziges Gepäcksstück. Er hatte vergessen, es bei sich gehabt zu haben. Als er sich danach bückte, sah er am anderen Ende der Ankunftshalle Zacharias Sarani.

9
    Das Duell
    Ein Hochgefühl durchlief Freudensprung beim Anblick Saranis, er spürte, wie das Leben in ihn zurückkehrte, atmete tief durch, und es war ihm, als weiche endlich jene Last, die ihn in den letzten Wochen niedergedrückt hatte. Ohne Mühe stand er auf, schritt aus, ein wenig wackelig noch, und winkte von weitem dem Freund zu. Der reagierte nicht, konnte nicht reagieren, denn er blickte in eine andere Richtung. Heinrich blieb stehen und mußte lachen.
    So ein Schalk! dachte er, zieht die Sache ins Komische, als würde sie dadurch einfacher. Freudensprung sah die Betonbank nicht, auf der Sarani saß, denn die unterschied sich in der Farbe nicht vom Fußboden, und so hatte er den Eindruck, Sarani habe die Grundstellung eines Fechters, die Hocke, eingenommen. Schneller als er denken konnte, wußte Freudensprung, warum Sarani das tat. Nur eines verstand er nicht: Warum schaute Zacharias nicht zu ihm? Doch bald begriff er auch das. Zacharias wollte offenbar, daß Heinrich mitspiele, daß er wie Zacharias in Angriffsposition gehe, als hielte er ein Florett in der Hand, und daß er einen Angriff vortrage, von hier bis zu ihm, durch die ganze Ankunftshalle. Zacharias werde warten, bis er Heinrich aus den Augenwinkeln auf sich zustürmen sah, sich dann blitzschnell Heinrich zuwenden, dessen Angriff parieren und, denUnterarm florettartig bewegend, mit einer Riposte antworten.
    Freudensprung nahm zwar die Stellung eines Fechters ein, in ihr zu verharren gelang ihm aber wegen seiner körperlichen Schwäche nicht, außerdem belastete die Fechthaltung, auch wenn er sie nur schlampig nachahmte, die Oberschenkel aufs äußerste. Dazu kam, daß Leute sich um ihn scharten, Wartende, die froh waren, etwas zu gaffen zu haben, dankbar für die Abwechslung, die ein offensichtlich Verrückter ihnen bot, indem er zu gymnastischen Übungen ansetzte.
    Schade, dachte Heinrich, und er ging zu der Säule, die ihm schon einmal als Stütze gedient hatte, lehnte sich daran, stellte sich gleichgültig, damit die Gaffer sich verliefen, was sie auch taten, aber so zögernd und immer wieder nach ihm schielend, daß Freudensprung den Florettangriff nicht von neuem zu beginnen wagte. Er blickte zwischendurch zu Sarani, der denkmalgleich in seiner Position verharrte, der sich aber doch, dachte Freudensprung, einmal aufrichten müsse, um die Beine auszuschütteln. Kein junger Florettmeister, der beste nicht, könne ewig in der Hocke verharren, wie sollte das dem alten Sarani gelingen? Freudensprung imponierte die Sturheit, mit der sein Freund als Sportlerstatue posierte, er verstand auch, daß sich um Sarani keine Gaffer scharten, der hatte sie wohl auf arabisch angeschnauzt und vertrieben, gleichwohl erwartete Freudensprung, daß der Freund – er ertappte sich dabei, von Zacharias wieder als von seinem Freund zu sprechen – im nächsten Augenblick, von Krämpfen in den Oberschenkeln gepeinigt, einen Schmerzensschrei ausstoßen und sich unter Qualen aufrichten werde. Wie damals vor vierzig Jahren.
    Freudensprung rechnete, nachdem er sechzig geworden war, nur mehr in Jahrzehnten, er nannte es ein Vorrecht des Alters, sich mit kleineren Zeiteinheiten nicht herumzuschlagen. So gerechnet, war es vor vierzig Jahren, als Sarani und Freudensprung, zum Gaudium des Trainers und der anderen Mitglieder des Kapfenberger Fechtclubs, gleichzeitig aufschrien. Sie überschätzten sich maßlos und wollten demonstrieren, daß sie es in der Hocke länger aushielten als die durchtrainierten Fechter, welche die beiden Jugendlichen mit Zurufen wie »Nur noch ein halbes Stündchen« oder »Das ist erst der Anfang« anstachelten. Die Schmerzensschreie brachen aus ihnen heraus wie aus Schwerverletzten, worauf die beiden sich auf den Fußboden warfen, weil im Stehen der Krampf in den Oberschenkeln nicht nachließ; erst im Liegen besserte sich ihr Zustand, während um sie herum das Training weiterging.
    Heinrich Freudensprung erwog, sich die Tropfen von der Stirn zu wischen, damit sie nicht weiterhin durch die Brauen sickerten und salzig in den Augenwinkeln brannten, doch er tat es nicht. Er genoß es, daß ihn nicht mehr fröstelte wie während der vergangenen Wochen in New York, wo im

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