Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
Vom Netzwerk:
diesen sofort auszusprechen. Ob Zachariases für möglich halte, sagte er – er wählte die sanfte Frageform, um Sarani nicht weh zu tun –, daß er, Zacharias, die Dinge durcheinander bringe, daß er den eigenen Fall mit seinem Fall verwechsle, daß er von Heinrichs Intrige spreche, obgleich es sich um die seine handle.
    Sarani stutzte und blieb stehen. Heinrichs Rede, sagte er, sei nicht ohne Raffinement. Heinrich halte es also nicht für ausgeschlossen, daß, was er Zacharias angetan habe, gewissermaßen ihm von Zacharias angetan worden sei. Das klinge für ihn, der trotz Heinrichs Bemühen nie begriffen habe, was Dialektik sei, bestenfalls dialektisch, in Wirklichkeit sei diese verworrene Rede aber Produkt des Alters, wenn nicht der Senilität.
    Freudensprung verlor die Fassung, er riß sich los aus der Führung durch den Freund, stellte sich ihm entgegen – war aber klug genug, seine Anklage, Zacharias habe Freudensprungs Liebe zu einer Frau zerstört, zurückhaltend zu formulieren: Zacharias wisse, was geschehen sei; Heinrich mache ihm keinen Vorwurf; ihm sei das wichtigste, Zacharias wiederzusehen. Er gab die Haltung des Kampfhahnes auf und hakte sich bei Sarani unter.
    Der atmete auf und sagte, sie hätten jenen Überfluß an Zeit, den man nur im Alter habe. Wochen, Monate stünden vor ihnen, sie müßten nicht an diesem Tag ihre Meinungen fruchtlos gegeneinanderstellen, alles würde sich nach und nach von allein klären – falls sie das noch interessiere.
    Um gegenseitige Vorwürfe hintanzuhalten, schlurften die beiden schweigsam zum Ausgang des Flughafengebäudes. Ihre Gesichter waren nicht mehr grau, nicht mehr steinern, die Milde des Erinnerns an die Jugend lag auf ihnen: Freudensprung hatte sein Studium vollBegeisterung, weil mit einer Arbeit über Musil, abgeschlossen und lebte freiberuflich und mittellos als Schriftsteller mit seiner Frau, die mit dem regelmäßigen Einkommen einer Lehrerin für den Lebensunterhalt aufkam, und drei Kindern in Wien. Sarani hatte das Studium des Maschinenbaus als Diplomingenieur beendet und bald danach, er hatte nie gelernt, sich auf Dauer einzufügen, in Graz ein eigenes Unternehmen und eine Familie gegründet, was ihn nicht davon abhielt, den Freund einmal im Monat in Wien zu besuchen, schon um sich zu beweisen, daß ein Jungunternehmer keineswegs Tag und Nacht in der Firma zubringen muß, um nicht unterzugehen, und meistens begleiteten ihn seine Frau und die beiden Kinder, ein Mädchen und ein Bub.
    Wie üblich stieg man im Hotel Lila hinter der Votivkirche ab, einer besonders von Musikern geschätzten und gehaßten Familienpension, in der jede und jeder von sieben Uhr früh bis zehn Uhr abends musizieren oder singen durfte, so laut und so lange er wollte, ein Recht, das jeder nur für sich haben, dem anderen, um nicht gestört zu werden, aber streitig machen wollte, was im Hotel Dissonanzen hervorrief, die Sarani während des Frühstücks, das er von sieben bis acht zu sich nahm, um so mehr genoß, als er den Rest des Tages nicht im Hotel zubrachte, sondern schon um neun Uhr zum zweiten Frühstück im Café Landtmann saß, einem Kaffeehaus, das nicht nur nahe der Votivkirche lag, sondern gleichsam deren Innenraum darstellte.
    Denn diese Kirche – ein neugotisches Monster, das nicht als monströs empfunden wird, weil es in der Nähe des Wiener Rathauses steht, eines Bauwerks, das an Häßlichkeit allen abstoßenden Bauwerken Wiens, vielleichtsogar der Welt, den Rang abläuft – diese Kirche hat, weil fragil, keinen kompakten Innenraum und insofern keinen Ort der Andacht, weshalb in der Nähe, im Café Landtmann , Ersatz geschaffen wurde, ein Ort zeitgemäßer Andacht, also endlosen Tratsches, wie Sarani mit Vergnügen feststellte, wenn er, weg von der Firma und noch nicht mit Freudensprung zusammen, sich im Landtmann dem Müßiggang hingab und aufschnappte, was ihm an Gesprächsfetzen zuflog: geschäftliche Erwägungen über Politik, politische Spekulationen über Geschäfte, kulturelle Einschätzungen der Politik und der Geschäfte, politische und kommerzielle Bewertungen der Kultur.
    Nur diejenigen, dachte Sarani, indem er im Kaffeehaus die einflußreiche Schicht der Stadt, wenn nicht des Landes beobachtete, die sich als Elite empfänden und bezeichneten, in Saranis Worten das herrschende Gesindel auf dem Weg zur herrschenden Klasse, nur diejenigen, dachte er, sprächen von sich als Elite, die es nicht sind, während die anderen, welche, gäbe es einen

Weitere Kostenlose Bücher