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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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gegenwärtig, daß jene Intrige sich zwar nicht verflüchtigt habe, aber zu einer Nebensache verblasse.
    Dafür, sagte Freudensprung, sei er Zacharias dankbar, aber auch dafür, daß Zacharias ihn, dem im Lauf des Lebens die Kunst – berufsbedingt – immer wichtiger geworden sei, auf diesem Weg voller Fallstricke nicht im Stich gelassen habe. Sosehr das Empfinden, fuhr Freudensprung fort, gegen die herrschenden Zustände rebelliere, so sehr öde es den Geist an, sich fortwährend mit Zuständen zu beschäftigen, die sich insbesondere in Zeiten des Stillstands nur durch Geistlosigkeit auszeichneten. Deshalb wohl hätten die Freunde immer öfter gemeinsame Ausflüge zu Kunstwerken und zu Werken der Philosophie unternommen.
    Sie hätten als junge Menschen, sagte Freudensprung – die Gründung der Farm sei geplant, sein erster Band mit Erzählungen und ein Band mit Essays in Vorbereitung gewesen –, eingesehen, daß, um eine Revolution zu machen, was ohne Zweifel das Wichtigste sei, nicht zwei, sondern Hunderte, Tausende Leute notwendig wären;und es sei den Freunden auch der düstere Gedanke nicht fremd gewesen, daß, was immer sie tatsächlich unternahmen, vielleicht nur ein Ersatz für Revolution war.
    Vieler aufreibender, gleichwohl erhellender Gespräche an Wochenenden in Wien, sagte Freudensprung, habe es bedurft, ehe der Knoten in ihren Köpfen sich gelöst habe und sie eingesehen hätten, daß Revolution nicht etwas ist, worauf man zu warten, sondern etwas, worauf man hinzuarbeiten hat, mit praktischem Experiment, der Neuerung, und geistigem Experiment, dem Kunstwerk. Beides habe ein Ziel: einer wertlosen und unmenschlichen, weil nur Warenwert produzierenden Gesellschaft den größtmöglichen Gebrauchswert als menschliche und sachgemäße, also revolutionäre Antwort zu geben.
    Sie hätten sich, sagte Freudensprung, zu der Ansicht durchgerungen, die sie ausdrücklich nicht als Kompromiß ansahen: daß das Denken dem Handeln, der Revolution, weder unternoch übergeordnet sei, dasselbe gelte für das Verhältnis von Revolution und Kunst.
    Sarani machte eine unwillige Handbewegung, als wollte er wegscheuchen, was Freudensprung gesagt hatte. Es gefalle ihm, sagte er, daß in Heinrich noch so viel Feuer brenne. Diese Energie beziehe er wohl daraus, Zacharias vernichtet zu haben. Freudensprung suchte mit den Augen die Tischplatte ab, als könnte ihm von dort Rat zuteil werden. Da das nicht der Fall war, sagte er, er könne in dem, was Zacharias gesagt habe, keinen Sinn erkennen. Sarani lächelte. Nun, im Alter, sagte er, erreichten sie die höchste Form des Verstehens, indem sie einander nicht mehr verstünden. In der Jugend hätten sie gewußt, daß die Welt einer Revolution bedürfe, nicht damit Frieden und Glück einkehrten, sondern damit die Mehrheit derBevölkerung herauskomme aus dem Dreck, in den eine Minderheit sie hineinstampfe. Heinrich habe sich auf Marx bezogen, Zacharias auf Musil, dessen Mann ohne Eigenschaften sich lustig mache über die Phrase von den Möglichkeiten, die in der Wirklichkeit steckten, und statt dessen von möglichen Wirklichkeiten spreche. Was das bestehende Schlechte auch an Möglichkeiten in sich berge, es sei schlecht – ein Fluch, der auf jeder Reform laste. Von diesem Fluch könne auch eine Revolution eingeholt werden. Die Welt entziehe sich der vorschnellen Attacke ebenso wie der einverständlichen Umarmung.
    Freudensprung wandte ein, es gehe im konkreten Fall nur um eine primitive Intrige Zacharias’ gegen Heinrich, die primitiv bleibe, auch wenn man sie mit Theorie verbräme. Nun war Sarani nicht mehr zum Lachen zumute. Da er, sagte er, in seinem ganzen Leben keine Intrige gesponnen habe, scheine das Einander-nicht-Verstehen der beiden Freunde eine bemerkenswerte Form anzunehmen.
    Sie schwiegen. Freudensprung, von der Angst gepackt, es könnte ein Schweigen sein, das, währte es auch nur eine Minute, nie wieder gebrochen würde, ging zum Angriff über. Sie hätten, sagte er, schon in jungen Jahren Ziele für sich formuliert, ohne zu bedenken, daß das Leben des einzelnen so wenig ein Ziel habe wie die Menschheitsgeschichte insgesamt, auch wenn diese, zwar nicht geradlinig, aber notgedrungen fortschreite. Zacharias habe, sobald feststand, daß die Farm sich wirtschaftlich gut entwickle, die Gründung – offenbar müsse Zacharias pausenlos etwas gründen – einer Akademie angekündigt, stets mit dem Zusatz, die werde sein Lebenswerk sein. Was für ein Blödsinn!
    Er selbst,

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