Komoedie des Alterns
unzulängliches Werkzeug gewesen, das ihm half, das Besteck zum Mund zu führen. Zacharias, dachte Freudensprung, habe recht gehabt, man müsse dem Körper nur Nahrung zuführen, dann finde er ins Leben zurück – auch wenn der Kompagnon des Körpers, das Bewußtsein, gefangen in der Tragödie von der verratenen Freundschaft, sich noch ziere.
Einem Geiger gleich hob Freudensprung, denn er glaubte sich von Sarani unbeobachtet, die Hände, so als stünde er vor einem Publikum und setzte die Geige an, um eine Violinsonate zu spielen. Sarani, der dem Kellner kopfschüttelnd nachgeschaut, den Freund aber aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, fragte, ob der Kellner nicht nur Spaghetti, sondern auch eine Geige bringen solle, damit Freudensprung die Frühlingssonate spielen könne, worauf Freudensprung antwortete, Lampenfieber hindere ihn daran, mit dem Konzert zu beginnen. Wie in der Jugend treibe ihm auch jetzt die Aufregung den Schweiß aus den Poren, er müsse die Finger im Wasser kühlen, andernfalls sie auf den Saiten ausrutschten, so daß Beethovens Motiv: eine Quelle, die sich durch die Schneereste des Winters den Weg bahnt und sodannhinunterperlt ins frühlingswarme Tal, sich anhörte wie das Blubbern einer Ölquelle.
Er erinnere sich, sagte Sarani, daß Heinrich ihm vor Jahrzehnten von seinem Lampenfieber erzählt habe. Heinrich scheine ein zweigeteilter Mensch zu sein, einerseits begierig, sich zu produzieren, als Geiger, dann als Schriftsteller, aber auch als politischer Akteur, andrerseits scheue er öffentliches Auftreten. Die Geige in der Hand, bezweifle er, ihr je einen richtigen Ton zu entlocken, was dann doch gelinge, und wahrscheinlich nicht schlecht.
Freudensprung antwortete, er danke für diese psychologische Studie, wisse aber auch ohne Unterweisung über sich Bescheid. Sarani entschuldigte sich für den Fauxpas, das Verhalten des Freundes gedeutet zu haben; er habe vergessen, wohl auch eine Folge des Alters, daß es zu den unausgesprochenen Regeln ihrer Freundschaft gehörte, niemandes Innenleben nachzuspüren, da das Leben ohnedies alles nach außen kehre.
Um seinen Fehler zu überspielen, redete Sarani über Maher. Der, sagte er, sei ein moderner Sklave, welcher beides sein dürfe, Sklave und Sklavenhalter. Der Kapitalist, man wisse es seit langem, sei Sklave des Kapitals; der Sklave, der Kapital schaffe, das sei die Einsicht dieser Stunde, dürfe zum Kleinkapitalisten aufsteigen, damit er, Opfer des Systems, das System verteidige. Der Kapitalismus, sagte Sarani, sei die vollkommenste aller Religionen, die Herren würden mit der gleichen Inbrunst Opfer fordern, mit der die Sklaven Opfer brächten. Und gemeinsam gierten sie, Herren und Sklaven, danach, diejenigen zu opfern, welche diesen Schwindel durchschauen und beim Namen nennen.
Bravo, sagte Freudensprung. Es erschrecke ihn, vonSarani jenen Quatsch zu hören, den gewöhnlich er selbst zum besten gebe. Freudensprung habe die gute alte Theorie, die Sarani nun ausposaune, in den Gesprächen mit dem Freund nur deshalb immer wieder erwähnt, um ihn darin zu bestärken, seinen Weg des Experiments, des praktischen Versuchs, der ersehnten Neuerung unbeirrt weiterzugehen. Die heutige Kritische Theorie mit den Wurzeln in Hegel und Marx, welcher Freudensprung anhänge, sei in ihrer Verdammung des Bestehenden zu Recht unerbittlich, bleibe aber deshalb allgemein und unverbindlich, nicht auf Praxis gerichtet und schillere daher, wie das Bestehende selbst, vor Irrationalität – notwendigerweise, fügte Freudensprung hinzu. Er habe, ohne sich von jener Theorie lösen zu wollen, Saranis Praxis, Neuerungen, wo immer möglich, zu versuchen, nicht nur geschätzt, sondern als Korrektur der eigenen Theorie dringend benötigt.
Saranis Rückfall in die alte Theorie, fuhr Freudensprung fort, deute er als Resignation – dafür gebe es aber keinen Grund. Jedenfalls nicht für Freudensprung. Er fühle die Lebenskraft zurückkehren und reise ab. Er habe keine Lust, die Freundschaft, die von guten Gesprächen getragen gewesen sei, von schuldzuweisenden Debatten zerstören zu lassen. Zacharias gefalle sich in Anschuldigungen gegen Heinrich, er wiederum sei voll Bitterkeit gegen Zacharias – da empfehle es sich, Zeit verstreichen zu lassen, anstatt sie mit Aufrechnung von Schuld zu vertun. Er fliege, sagte Freudensprung, mit dem nächsten Flugzeug nach Wien und werde von dort aus als erstes die Wohnung in New York kündigen, das sei das Wichtigste, denn er wolle in
Weitere Kostenlose Bücher