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Komoedie des Alterns

Komoedie des Alterns

Titel: Komoedie des Alterns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Scharang
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einheitlichem Material, Holz oder Stein, fertige.
    Er bestreite nicht, daß der Bewohner des Raums einen Sessel, einen Tisch, ein Regal, einen Schrank benötige, doch es bleibe, was immer man in einen Raum plaziere, oberstes Gebot, den leeren, schönen Raum durch die Art, wie man einen Gegenstand hineinstelle, zu öffnen, aus dem leeren einen offenen Raum zu machen. Das sei Baukunst, ob es sich um einen Raum, um ein Haus oder um eine Stadt handle.
    Wer sich einbilde, sagte Freudensprung, es seigleichgültig, wie der Raum, in dem man lebe, beschaffen sei, werde sich selbst gleichgültig. Der Baukunst könne man nicht entsagen, insofern sei sie die höchste Kunst, aber auch die tragischste. Wer einen Roman nicht verstehe, verändere ihn dadurch nicht. Wer einen privaten Raum nicht verstehe, vernichte ihn, wer einen öffentlichen Raum nicht verstehe, verunstalte ihn.
    In seiner Verliebtheit in die Künste, fuhr Freudensprung fort, habe er sich auch auf die Lebens- und Liebeskunst geworfen, nicht zu verwechseln mit dem Leben und der Liebe, wie ja auch die Kunst des Schreibens etwas anderes sei als das Schreiben.
    Kunst gestalte die Wirklichkeit. Ähnlich forme die Lebenskunst das Leben, die Liebeskunst die Liebe. Beide Künste entstammten der Philosophie, die, indem sie die Welt deute, auch dem Leben und der Liebe Bedeutung gebe. Er zweifle nicht, sagte Freudensprung, daß die Kunst des Lebens und der Liebe die vielgestaltige Lebensfreude und die einfallsreiche Liebeslust hervorbrächten. Die Philosophie helfe dabei, indem sie darauf aufmerksam mache, daß das Dasein rasch vorbei sei und man sich nicht damit bescheiden solle, Leben und Liebe als Naturvorgang ablaufen zu lassen, ohne daraus Freude und Genuß zu ziehen.
    Nun seien, sagte er, Freude und Lust die Todfeinde von Herrschaft, die Keime des Aufruhrs, die Anleitung zur Revolution, und solange man dem Menschen das Denken und Empfinden nicht ausgetrieben habe, werde er, raube man ihm Freude und Lust, das als Leid verspüren, welches er nicht hinzunehmen gedenke.
    Er vermute, fuhr Freudensprung fort, daß Philosophie und Kunst sich von Anbeginn hätten tarnen müssen, umnicht ausgerottet zu werden, sie hätten die Fragen nach dem Leben und der Liebe so verschlüsselt, daß diese Fragen die Herrschenden nicht geschmerzt und die Beherrschten sie nicht verstanden hätten. Kunst und Philosophie seien im besten Fall geheime Dienste, die im wesentlichen sich selbst dienten. So würden sie sich davor schützen, liquidiert zu werden. Oder aber sie würden freiwillig abdanken, ins Lager der Herrschaft überlaufen und zu dessen Zierat werden, Kunst zu Kunstgewerbe, Philosophie zu Meditation.
    Er sei zu müde, sagte Sarani, er könne Heinrich weder recht noch unrecht geben. Außerdem werde er aus Freudensprungs Rede, wenngleich er sie verstehe, nicht klug. Ihm gehe es nicht anders, antwortete Freudensprung, er sei so müde, daß er nur mehr nachplappern könne, was er in den schlaflosen Nächten der letzten Wochen vor sich hergesagt habe.
    Ob Heinrich noch hungrig sei, fragte Sarani. Ja, antwortete Freudensprung, aber er könne nichts mehr essen, nichts trinken, er wolle nur mehr einen Zigarillo rauchen. Sarani schob dem Freund die Schachtel hin und gab ihm Feuer. Sein Leben, sagte Sarani, habe sich nicht zur Lebenskunst aufschwingen können. Wie gern hätte er nach Heinrichs Beispiel ein Fest auf der Farm gegeben. Doch ihm sei die Frage im Weg gestanden, wer er denn sei, gleich unter Gleichen oder ein Feudalherr, der aus einer Laune heraus die anderen mit einer Lustbarkeit beschenke.
    Und so habe er sich fragend an die anderen auf der Farm gewandt, und niemand habe ein Bedürfnis nach einem Fest geäußert, stets mit dem Argument, man sollte von dem gemeinsam erwirtschafteten Ertrag jedenPiaster zehnmal umdrehen, ehe man ihn ausgebe, stünden doch wichtige Dinge an, das Zahnambulatorium sei in Planung, der Bau der Gebärklinik habe begonnen, von Vorhaben wie dem Theater ganz zu schweigen. Er sei das Gefühl nicht losgeworden, seine Mitstreiter, als Miteigentümer in die Farm eingebunden, hätten die Mentalität von Privateigentümern angenommen: Gier nach Eigentum, in Verbund mit Angst vor Lebenslust. Nicht zuletzt um sich an dieser Mentalität zu rächen, habe er, sagte Sarani, ein großes Geburtstagsfest für sie beide im Februar dieses Jahres geplant. Doch Heinrich habe es zu Fall gebracht.
    Freudensprung widersprach entschieden. Erstens habe er, leider, nie etwas zu Fall

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