Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik
wo die Wogen vom ohnmächtigen Schlag gegen die Ringmauern zurückprallten, ein höllisches Chaos auf uns wartete.
Wir lagen noch immer unter vollen Segeln, in der Hoffnung, dennoch vorbeisteuern zu können. Wie wir so langsam halbseitlich nähertrieben, sahen wir vom Mast, wie die ganze Perlenreihe durch ein teilweise überseeisches und teilweise unterseeisches Korallenriff zusammenhing. Wie vor einer Mole stand das Meer weißschäumend auf und sprang hoch gegen den Himmel empor. Das Ringriff von Raroia ist oval und hat einen Durchmesser von 40 Kilometer, die ganze Langseite wendet sich gegen das Meer im Osten, woher wir angeschaukelt kamen. Das Riff selbst, das sich von Horizont zu Horizont zieht, ist nur wenige hundert Meter breit, und dahinter liegen idyllische kleine Inseln in Reih und Glied um die stille Lagune in der Mitte.
Wir sahen mit gemischten Gefühlen, wie der blaue Pazifik rücksichtslos aufgerissen entlang unseres ganzen Gesichtsfeldes in die Luft zischte. Ich wußte, was wir da drinnen zu erwarten hatten. Ich hatte schon früher einmal die Tuamotugruppe besucht. Damals war ich sicher an Land gestanden und hatte den mächtigen Anblick im Osten bewundert, wo die Brandung des offenen Ozeans über das Riff hereinbrach. Nach und nach tauchten immer neue Riffe und Inseln auf, bis weit hinunter nach Süden. Wir mußten wohl mitten vor der Front der ganzen Korallenmauer liegen.
An Bord der »Kon-Tiki« stand alles im Zeichen des Aufbruchs. Was einigermaßen von Wert war, wurde in die Hütte hineingetragen und festgebunden. Dokumente und Papiere wurden in wasserdichte Hüllen verpackt, da hinein verschwanden auch Filme und alles andere, was ein Seebad nicht aushielt. Die ganze Bambushütte wurde mit Segeltuch bedeckt und besonders solide Taue wurden darüber festgezurrt. Da wir sahen, daß wir jenseits aller Hoffnung waren, öffneten wir das Bambusdeck mit Machetenmessern und zerhieben alles Tauwerk, das die Senkkiele hinunterhielt. Es war eine schwere und mühevolle Arbeit, diese Schwerter heraufzubekommen, denn alle waren dicht mit fetten Entenmuscheln besetzt. So reichte das Floß nicht tiefer als bis zum Boden der Baumstämme. Wir würden deshalb leichter über das Riff hineingeschoben werden. Ohne Senkkiel und mit gestrichenem Segel trieb das Floß ganz nach der Seite und war eine leichte Beute für Wind und Wellen.
Wir banden das längste Tau, das wir hatten, an unseren hausgemachten Anker und befestigten es am Fuß des Backbordmastes. So mußte die »Kon-Tiki« mit dem Heck voran in die Brandungswellen hineintreiben, wenn man den Anker über Bord warf. Der Anker selbst bestand aus leeren Wasserkanistern, gefüllt mit gebrauchten Radiobatterien und einer Sammlung unseres schwersten Plunders. Außerdem streckte er kreuz und quer solide Pfähle aus Eisenholz vor.
Vorschrift Nummer eins, das A und O war: Halte dich am Floß fest! Was immer auch geschah, wir mußten uns an Bord anklammern und die neun großen Stämme den Anprall des Riffes aufnehmen lassen. Wir selbst hatten mehr als genug mit dem Wasserdruck zu tun. Über Bord springen bedeutete ein hilfloses Opfer der Brandung zu werden, die uns hinein und heraus über die scharfen Korallen schleudern würde. Das Gummifloß würde rasch in den steilen Wasserwänden umgeworfen werden, und schwer beladen mit uns, würde es auch am Riff in Fetzen zerrissen werden. Aber die Baumstämme würden früher oder später an Land hinaufgeschleudert - und wir mit ihnen, wenn es uns nur glückte, uns festzuklammern.
Zweitens bekamen alle Mann Anweisung, zum ersten Mal nach hundert Tagen Schuhe an die Füße zu ziehen; gleichzeitig auch die Schwimmwesten klarzumachen. Das letzte war trotz allem von geringerem Wert, denn würde einer über Bord geschleudert, würde er erdrückt und nicht ertränkt werden. Es war genügend Zeit, daß wir jeder unseren Paß zu uns steckten, ebenso das wenige, was wir an Dollars übrig hatten. Vorläufig war es nicht der Zeitmangel, der unsere Probleme schuf.
Es waren spannende Stunden, in denen wir so lagen und seitlich nach und nach auf das Riff zutrieben. An Bord herrschte auffallende Ruhe. Ja, stumm und wortkarg krochen wir alle ein und aus zwischen Hütte und Bambusdeck und erledigten unsere Angelegenheiten. Die ernsten Gesichter zeigten, daß keiner im Zweifel war, was wir zu erwarten hatten. Und der Mangel an Nervosität bewies, daß alle im Lauf der Ereignisse ein unwandelbares Vertrauen zum Floß bekommen hatten. Es hatte
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