Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik
Chance, daß es schiefgeht. Du hast ja noch nie in deinem Leben auf einem Balsafloß gestanden, und so stellst du dir plötzlich vor, du könntest mit einem solchen den Pazifik überqueren. Vielleicht geht es, vielleicht aber auch nicht. Die alten Indianer in Peru hatten wohl im Floßbau die Erfahrung von Generationen. Vielleicht gingen immer zehn Flöße kaputt, ehe eines die Überfahrt bestand, oder vielleicht gar Hunderte im Laufe der Jahrhunderte. Wie du bereits gesagt hast, manövrierten die Inkas auf offener See mit ganzen Flottillen von Balsaflößen. Da konnten sie auch vom Nachbarfloß gerettet werden, wenn etwas passiert war. Aber wer soll dich aus dem Wasser ziehen, mitten auf offenem Meer? Selbst wenn du Radio für den Notfall mitnimmst, so wird es wohl ziemlich schwer sein, zwischen den Wellenbergen tausend Meilen vom Land weg ein kleines Floß zu finden. Im Sturm kann man ja vom Floß hinuntergespült werden und schon längst ertrunken sein, bevor jemand zu Hilfe eilen kann. Es ist wohl besser, du wartest ruhig, bis einer Zeit gefunden hat, dein Manuskript zu lesen. Schreib weiter und laß den Leuten keine Ruhe, alles andere ist sinnlos.«
»Ich kann nicht länger warten. Ich habe bald keinen Knopf Geld mehr in der Tasche.«
»Dann kannst du zu uns übersiedeln. Wie kannst du übrigens ohne Geld daran denken, eine Expedition von Südamerika aus in Gang zu setzen?«
»Es ist viel leichter, für eine Expedition Interesse zu wecken als für ein ungelesenes Manuskript.«
»Aber was kannst du damit erreichen?«
»Das wichtigste Gegenargument gegen die Theorie zu Fall zu bringen, ganz abgesehen davon, daß die Wissenschaft auf die Angelegenheit aufmerksam wird.«
»Und wenn es schiefgeht?«
»Dann ist eben der Beweis noch nicht erbracht.«
»Da würdest du ja deine eigene Theorie in den Augen aller bloßstellen.«
»Vielleicht. Aber trotzdem hätte ja einer von zehn Erfolg haben können, wie du früher gesagt hast.«
Die Kinder des Hauses kamen, um Krocket zu spielen, und so sprachen wir an diesem Tag nicht mehr davon.
Am nächsten Wochenende stellte ich mich wieder in Ossining ein, abermals mit der Kartenrolle unter dem Arm, und als ich ging, führte ein langer Bleistiftstrich von der peruanischen Küste nach den Tuamotu-Inseln im Stillen Ozean. Mein Freund, der Kapitän, hatte die Hoffnung aufgegeben, mir meine Idee auszureden, und so hatten wir stundenlang beisammengesessen und hatten die voraussichtliche Trift des Floßes berechnet.
»Siebenundneunzig Tage«, sagt Wilhelm, »aber leider nur unter theoretisch idealen Verhältnissen mit chronischem Rückenwind und vorausgesetzt, daß das Floß wirklich so segeln kann, wie du glaubst. Du mußt absolut mit mindestens vier Monaten Fahrzeit rechnen, aber auf mehr vorbereitet sein.«
»All right«, sagte ich zufrieden, »dann rechnen wir eben mit vier Monaten, machen es aber in Siebenundneunzig Tagen.«
Der winzige Raum im Seemannsheim schien mir doppelt anheimelnd, als ich an diesem Abend zurückkam und mich mit der Karte auf die Bettkante setzte. Ich schritt den Fußboden ab, soweit es mir das Bett und die Kommode gestatteten, mich durchzuwinden.
Gott sei Dank, das Floß würde größer werden als dieser Raum. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, um einen Blick auf den fast vergessenen Sternenhimmel der Großstadt zu werfen, von dem nur ein kleiner Ausschnitt zwischen den hohen Hinterhofmauern sichtbar war. Und wenn auch wenig Platz auf dem Floß sein würde, es würde doch genug Raum für einen ganzen Sternenhimmel über uns sein.
Im Westen, 42. Straße, am Zentralpark, liegt einer der exklusivsten Klubs von New York. Nur ein kleines Messingschild »Explorers Club« verrät dem Vorbeigehenden, daß hinter der Tür etwas Ungewöhnliches zu erwarten ist. Tritt man aber erst ein, so ist es, als sei man nach einem Sprung mit dem Fallschirm mitten in einer fremden Welt gelandet, Tausende Meilen weit von den Automobilreihen New Yorks, über denen sich die Wolkenkratzer erheben. Wenn sich die Türe nach New York hinter einem geschlossen hat, wird man von einer Atmosphäre von Löwenjagden, Bergbesteigungen und Polarleben verschlungen, die sich merkwürdig mit dem Gefühl mischt, im Salon einer komfortablen Jacht zu sitzen, die sich gerade auf Weltreise befindet. Trophäen von Nilpferd und Hirsch, mächtige Geweihe, Stoßzähne, Kriegstrommeln und Spieße, Indianerteppiche, Götterbilder und Schiffsmodelle, Flaggen, Fotografien und Karten umgeben die
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