Kon Tiki - Ein Floss treibt über den Pazifik
Indianerkulturen von den Azteken in Mexiko bis zu den Inkas in Peru nach plötzlichen Impulsen aus dem Osten her über das Meer entstanden seien, während alle gewöhnlichen Indianerstämme Jäger- und Fischervölker asiatischer Herkunft sind, die im Laufe von zwanzigtausend oder noch mehr Jahren von Sibirien nach Amerika einsickerten. Es ist ja auch augenfällig genug, daß man keine Spur einer allmählichen Entwicklung in den Hochkulturen finden kann, die sich einst von Mexiko bis nach Peru erstreckten. Je tiefer die Archäologie hinuntergräbt, desto höher wird das Kulturniveau. Schließlich gelangt man zu einem bestimmten Punkt, an dem die alten Kulturen ersichtlich eingesetzt haben müssen - ohne Übergang, inmitten von primitiven Stämmen.
Und diese Kulturen sind gerade dort aufgetreten, wo die Strömung vom Atlantik hereinkommt, mitten in Amerikas so erschlaffenden Wüsten- und Dschungelgegenden, statt in den gemäßigten Zonen, wo Kulturen - damals wie heute - leichtere Entwicklungsbedingungen haben.
Dasselbe wiederholte sich auf den Südseeinseln. Es ist das Peru am nächsten gelegene Eiland, die Osterinsel, das die tiefsten Spuren dieser Kultur trägt, obwohl diese Insel wasserarm und nicht fruchtbar ist und von allen Inseln im Stillen Ozean am weitesten von Asien entfernt liegt.
Als wir die halbe Reise hinter uns hatten, waren wir so lange gesegelt, wie man von Peru zur Osterinsel braucht. Nun hatten wir das sagenumsponnene Eiland genau im Süden. Wir waren von einem ganz beiläufigen Punkt mitten an der Küste Perus in See gestochen, da wir den Weg eines Durchschnittsfloßes nehmen wollten, das von Land trieb. Hätten wir das Festland weiter südlich verlassen, näher an der Ruinenstadt Kon-Tikis, Tiahuonaco, dann hätte uns zwar derselbe Wind ergriffen, aber eine schwächere Strömung, die uns in Richtung auf die Osterinsel getrieben hätte.
Als wir den 110. Grad westlicher Länge passierten, waren wir in polynesischen Gewässern. Denn die Osterinsel lag jetzt näher an Peru als unsere eigene Position, und wir waren auf gleicher Höhe mit diesem ersten Vorposten der Südseeinseln, dem Zentrum der ältesten polynesischen Kultur. Wenn unser glühender Wegweiser, die Sonne, vom Himmel herabstieg und mit der ganzen Farbenpracht des Regenbogens hinter dem Meer im Westen verschwand, dann blies der milde Passat Leben in unsere Gespräche über das seltsame Mysterium der Osterinsel. Der Nachthimmel löschte jeden Zeitbegriff aus, und aufs neue geisterten die Riesenschatten unserer bärtigen Köpfe über das Segel. Aber weit unten im Süden auf der Osterinsel standen noch größere Riesenköpfe, in Stein gemeißelt, mit spitzbärtigem Kinn und mit den Zügen des weißen Mannes, und sannen über dem Geheimnis der Jahrhunderte. So standen sie bereits da, als die ersten Europäer im Jahre 1722 die Insel entdeckten. Und so hatten sie damals durch zweiundzwanzig polynesische Generationen gestanden, als die jetzige Bevölkerung mit ihren Kriegskanus dort landete und alle erwachsenen Männer dieses rätselhaften Kulturvolkes auf der Insel ausrottete. Seit damals thronten Götterbilder auf der Osterinsel als gewaltige und ungelöste Symbole einer vorzeitlichen Mystik. Auf den Abhängen rund um die baumlose Insel ragten sie in den Himmel, Steinkolosse, aus einem einzigen Block prächtig ausgemeißelt als menschliche Gestalten, und so hoch wie ein drei- bis vierstöckiges Haus. Wie konnten diese Menschen der Vorzeit solche gigantischen Steinbilder schaffen, transportieren und aufrichten? Aber nicht das allein. Wie hatten sie es vermocht, zwölf Meter über dem Boden noch einen besonderen riesigen Block aus rotem Stein als kolossale Perücke auf viele der Köpfe zu türmen? Was war der Sinn? Und welche Art technischer Möglichkeiten hatten die verschwundenen Bildhauer gehabt? Sie meisterten Probleme, die groß genug wären für die besten Ingenieure von heute.
Wenn wir einmal zusammentragen, was das alte Kulturvolk an Spuren und Beweisstücken hinterlassen hat, die die Zeit nicht völlig zu zerstören vermochte, so ist das Geheimnis der Osterinsel vielleicht doch nicht unlösbar, sobald man sich die Möglichkeit einer Verbindung mit Peru durch Flöße vor Augen hält.
Die Osterinsel ist der Gipfel eines uralten, längst erkalteten Vulkans. Gepflasterte Straßen, von diesem alten Kulturvolk angelegt, führen noch zu den guterhaltenen Landungsplätzen an der Küste und zeigen damit, daß der Wasserstand rund um die
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