KON-TIKI
Seeschwalben meine Schultern. Sie waren so leicht und weiß wie Nebelstreifen. Kleine Vierfüßler flüchteten vor unseren Fußen. Aber die wichtigsten Einwohner der Insel waren dicke, blutrote Einsiedlerkrebse, die überall herumpolterten, gestohlene Schneckenhauser, groß wie ein Ei, über den bloßen Hinterkörper gezogen.
Ich war überwältigt. Ich sank auf die Knie und bohrte die Finger tief in den trockenen, warmen Sand.
Die Reise war vorüber, wir alle waren am Leben. Wir waren auf einer unbewohnten kleinen Südseeinsel gestrandet, und auf was für einer Insel! Torstein kam, schleuderte einen Sack von der Schulter, warf sich platt auf den Rücken und sah hinauf nach den Palmenkronen und den daunenleichten weißen Vögeln, die lautlos vor unserer Nase kreisten Bald waren wir alle sechs beieinander Hermann, der ewig Energische, kletterte auf eine kleine Palme und riß ein Büschel dicker, grüner Kokosnüsse herunter. Mit Machetenmessern schlugen wir die weiche Spitze ab wie bei einem Ei. So schlürften wir den frischesten und herrlichsten Labetrank der Welt, süße, kalte Milch einer kernlosen Kokosart. Außerhalb des Riffs erklangen die monotonen Trommelwirbel der Wachtposten vor unserem Paradies.
»Das Fegefeuer war eine nasse Sache«, sagte Bengt, »aber das Himmelreich ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe «
Wir streckten uns behaglich auf dem Rücken aus und blinzelten vergnügt zu den weißen Passatwolken hinauf, die da oben über den Palmenkronen vorbei nach Westen trieben. Jetzt mußten wir ihnen nicht mehr hilflos weiterfolgen, jetzt waren wir auf einer unbeweglichen und landfesten Insel im richtigen Polynesien.
Und wahrend wir so lagen und ausruhten, raste der Brandungsexpreß vor und zurück, vor und zurück, den Horizont entlang.
Bengt hatte recht, das war das Himmelreich.
8 Unter Polynesiern
Eine Robinsonade. Angst vor der Rettungsexpedition. »Alles in Ordnung, Kon-Tiki.« Sonstige Wracks. Unbewohnte Inseln. Im Kampf mit Meeraalen. Eingeborene finden uns. Häuptlingsbesuch. »Kon-Tiki« wird wiedererkannt. Hochwasser. Ein Schiff fährt über Land. Vier auf der Insel. Eingeborene holen uns. Empfang im Dorf. Vorväter von Sonnenaufgang. Hula-Fest. Medizinmänner durch den Äther. Wir bekommen Königsnamen. Weitere Schiffbrüchige. »Tamara« rettet »Maoae«. Nach Tahiti. Wiedersehen am Kai. Ein königlicher Aufenthalt. Sechs Kränze.
Unsere kleine Insel war unbewohnt. Rasch war man mit allen Palmengruppen und Strandufern bekannt, denn die Insel hatte kaum zweihundert Meter Durchmesser. Der höchste Punkt lag weniger als zwei Meter über der Lagune.
Über unseren Köpfen in den Palmenkronen hingen große Büschel der grünen Kokoshülsen, die die Schalen mit kalter Kokosmilch vor der Tropensonne schützen. So konnten wir in den ersten Wochen kaum Durst leiden. Außerdem waren reife Kokosnüsse da, ein Gewimmel von Einsiedlerkrebsen und verschiedene Fischarten in der Lagune. Also: hier sollten wir es gut haben.
Auf der Nordseite der Insel fanden wir Reste eines alten, unbemalten Holzkreuzes, das halb im Korallensand vergraben lag. Hier gab es gute Aussicht nach Norden über das Riff bis zu den kahlen Rippen des Wracks, das uns schon aufgefallen war, als wir unserem eigenen Schiffbruch entgegentrieben.
Noch weiter oben im Norden blaute durch die Palmenbüschel der Schatten einer anderen kleinen Insel. Die dichtbewachsene Insel im Süden lag viel näher. Auch auf ihr sahen wir kein Zeichen von Leben, aber vorläufig hatten wir anderes zu denken.
Robinson Hesselberg kam hinkend daher, bekleidet mit einem gewaltigen Strohhut und vollbeladen mit krabbelnden Einsiedlerkrebsen. Knut bekam Feuer an ein paar Knorren, und bald hatten wir ein Krebsgericht und Kokossaft mit Kakao zum Dessert.
»Na, wie fühlt ihr euch an Land, Jungens?« fragte Knut zufrieden.
Er hatte ja auf dieser Reise dasselbe schon einmal erlebt. Gleichzeitig setzte er »Seebeine« und schüttete damit Bengt einen halben Topf mit kochendheißem Wasser über die Füße. Es schaukelte wohl für jeden von uns am ersten Tag an Land nach hundertein Tagen an Bord des Floßes. Wir schwankten so zwischen den Palmenstämmen, daß es eine Art hatte, weil wir die Füße setzten, um eine See zu parieren, die nicht kam.
Als Bengt jedem von uns Teller und Besteck überreichte, machte Erich große Augen. Ich erinnere mich, daß ich mich über die Floßkante gebeugt und wie gewöhnlich nach der letzten Mahlzeit an Bord abgewaschen
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