KON-TIKI
erwachte auch ich und dachte gleich an die Riesenkraken, die in der Nacht in diesen Gewässern emporsteigen.
Als wir Licht in die Lampe bekamen, saß Hermann triumphierend, die Faust um den Nacken eines langen, dünnen Fisches geklammert, der sich wie ein Aal in seinen Händen wand. Der Fisch war einen Meter lang, dünn wie eine Schlange, mit großen schwarzen Augen und einer spitzen Schnauze mit einem Räubermaul voll langer, scharfer Zähne. Die Zähne waren messerscharf und konnten in den Gaumen umgelegt werden, wenn er schlucken wollte. Unter Hermanns Griff würgte er plötzlich einen großäugigen weißen Fisch, etwa zwanzig Zentimeter lang, aus Magen und Maul heraus, und kurz darauf kam noch einer von derselben Art hervor. Es waren ersichtlich zwei Tiefseefische, die von den Zähnen des Schlangenfisches stark mitgenommen waren. Die dünne Haut des Schlangenfisches war blauviolett am Rücken und stahlblau an der Unterseite und löste sich unter dem Griff in Fetzen los.
Endlich erwachte Bengt von dem Aufruhr, und wir hielten die Lampe und den langen Fisch unter seine Nase. Er setzte sich blinzelnd in seinem Schlafsack auf und sagte sanft:
»Nein. So ein Tier gibt es gar nicht.« Worauf er sich ruhig wieder niederlegte und weiterschlummerte.
Es fehlte nicht viel, daß Bengt recht gehabt hätte. Es zeigte sich nämlich später, daß wir sechs, die wir rund um das Licht in der Bambushütte saßen, die ersten waren, die diesen Fisch lebenden Leibes gesehen hatten. Nur das Skelett eines solchen war an der Küste von Südamerika und auf den Galapagosinseln ein paar Mal gefunden worden, und die Ichthyologen nannten ihn Gempylus oder Schlangenmakrele und glaubten, daß er in großen Meerestiefen lebte, weil noch keiner ihn bisher lebend gesehen hatte. Aber wenn er in großer Tiefe lebte, so mußte das jedenfalls am Tag sein, wenn die Sonne die mächtigen Augen blendete, denn in den dunklen Nächten war Gempylus hoch über der Oberfläche des Meeres auf Jagd. Das bekamen wir auf dem Floß zu erfahren.
Acht Tage später, nachdem der seltene Fisch in Torsteins Schlafsack gelandet war, bekamen wir einen neuen Besuch. Wieder war es Schlag vier am Morgen, der neue Mond war verschwunden, und es war dunkel, aber sternenklar. Das Floß war einfach zu steuern, und als meine Wache vorüber war, unternahm ich einen kleinen Ausflug entlang der Kante, um zu sehen, ob zur Wachablösung alles in Ordnung war. Ich hatte ein Tau um den Leib, wie es die Wache immer hatte, und mit der Paraffinlampe in der Hand balancierte ich vorsichtig auf dem äußersten Seitenstamm, um am Mast vorbeizukommen. Der Stamm war naß und glatt, daher war ich höchst erbittert, als jemand ganz unerwartet das Seil hinter mir ergriff und daran zog, so daß ich um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Erzürnt wendete ich mich mit dem Licht um, aber es war keine Seele zu sehen. Da zog und zerrte es wieder am Tau, und ich sah etwas Schimmerndes an Deck liegen und sich winden. Es war ein neuer Gempylus, und dieses Mal hatte er seine Zahnreihen so tief in das Rettungstau geschlagen, daß viele von den Zähnen brachen, bevor ich ihn losbekam. Vermutlich hatte das Licht der Lampe auf dem weißen, sich windenden Tau geglänzt, und unser Gast aus der Meerestiefe hatte einen Satz gemacht in der Hoffnung, einen extralangen und leckeren Bissen zu schnappen. Aber das Unternehmen endete in einer Kanne Formalin.
Das Meer bietet viele Überraschungen für den, der seinen Fußboden in Höhe des Wasserspiegels hat und langsam und lautlos dahintreibt. Ein Jäger, der sich seinen Weg durch den Wald bahnt, kann nach Hause kommen und erzählen, daß es nichts Lebendiges zu sehen gab, und ein anderer kann sich lautlos auf einen Baumstumpf setzen und warten; da beginnt es oft zu rascheln und zu knacken, und neugierige Augen sehen hervor. So ist es auch auf dem Meer. Wir durchpflügen es meist mit Motorlärm und Kolbenstampfen, daß das Wasser nur so um den Bug sprüht. Dann kommen wir zurück und sagen, daß es mitten auf dem Meer nichts zu sehen gibt. Es verging kein Tag, ohne daß wir auf der Meeresfläche Besuch von neugierigen Gästen bekamen, die uns umkreisten, und einzelne davon, wie Dolfine und Lotsenfische, wurden so zutraulich, daß sie dem Floß Gefolgschaft leisteten über das Meer und sich Tag und Nacht um uns hielten.
Wenn die Nacht einfiel und die Sternenwelt an dem dunklen Tropenhimmel funkelte, da blinkte das Meerleuchten rund um uns um die Wette mit den
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