Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
Schwarzweißabzüge davon machen. Der Mord ist auf jeden Fall im Flur passiert. Halldis stand mit dem Rücken zur Treppe, und er kam aus dem Inneren des Hauses auf sie zu. Vielleicht hatte sie die Hacke in der Hand, und er hat sie ihr weggerissen. Dann hätte er allerdings deutliche Fingerabdrücke hinterlassen müssen. Ich begreife außerdem nicht, wieso er sie unbedingt umbringen mußte. Wenn er das Geld gefunden hatte, hätte er doch einfach wegrennen können. Sie hätte ihn nicht eingeholt. Aber ich kenne Halldis. Sie war ein Dickkopf. Ich könnte wetten, daß sie in der Tür stand und ihn einfach nicht durchlassen wollte. Ich kann das richtig vor mir sehen«, sagte er leise. »Die wütende Halldis, erfüllt von gerechtem Zorn.«
»Wenn er sie umgebracht hat, dann vielleicht, weil sie ihn erkannt hatte. Sie hätte ihn doch angezeigt.«
»Ja«, sagte Gurvin nachdenklich. »Wer Errki war, wußte sie natürlich. Und bei seinem Ausbruch konnte er ja kein Geld mitnehmen. Er brauchte Geld.«
Skarre nickte.
»Aber groß kann die Ausbeute nicht gewesen sein«, fuhr Gurvin fort. »Bestimmt hat sie in ihrem Haus keine großen Summen aufbewahrt. Sie lebte doch allein.«
»Ja. Aber sehr weit vom nächsten Haus entfernt. Vielleicht hatte sie keine Angst vor einem Überfall? War ihr denn schon einmal etwas Ähnliches passiert?«
»Nein. Und sie war stark. Es würde mich nicht wundern, wenn sie mit der Hacke auf ihn losgegangen wäre.«
»Dann könnte er jetzt verletzt sein.«
»Sie haben die Fotos der Leiche gesehen?«
»Ja, aber nur kurz.«
»Nicht sehr schön, was?«
Skarre wäre fast schlecht geworden beim Gedanken an die Bilder, die ihm an diesem Morgen vorgelegt worden waren. »Wo wohnt Errki Johrmas Vater?«
»Der ist in die USA zurückgekehrt.«
»Und die Schwester?«
»Die auch.«
»Haben sie Kontakt zueinander?«
»Nein. Das liegt aber nicht an den beiden – Errki will nichts mit ihnen zu tun haben.«
»Kennen Sie den Grund?«
»Er fühlt sich ihnen überlegen.«
»Ach?«
»Er fühlt sich allen überlegen. Er lebt in seiner eigenen Welt und folgt seinen eigenen Gesetzen. Und in diesem Universum ist er der Herrscher. Das ist nicht so leicht zu erklären. Sie müssen ihn kennen, um das zu verstehen.«
»Aber er ist doch sicher auch verzweifelt? Wenn er ernstlich krank ist?«
»Verzweifelt?« Gurvin kostete das Wort aus, als sei dieser Gedanke ihm noch nie gekommen. »Wenn ja, dann verbirgt er das sehr gut.«
Skarre nickte in Richtung Straße. »Wir lassen schon nach ihm fahnden. Begleiten Sie mich jetzt zu dem Hof? Ich möchte das Haus sehen.«
Gurvin zog seine Jacke von der Stuhllehne. »Wir nehmen den Subaru«, sagte er leise. »Die Straße nach da oben ist verdammt steil.«
Der Wald, der den Hof umgab, wirkte dichter als sonst. Die Bäume schienen sich ehrfurchtsvoll aufgerichtet zu haben und den Verlust der Frau zu betrauern, die alles hier am Leben erhalten hatte. Und obwohl auf ihrem Hofplatz nie etwas herumgelegen hatte, weder Werkzeug noch Schubkarren noch vergessene Kleidungsstücke auf der Bank vor der Sonnenwand, wirkte der Hof jetzt vollständig verlassen. Er atmete nicht mehr. Die Blumen unter dem Küchenfenster kränkelten bereits, nur vierundzwanzig Stunden nach Halldis’ Tod hatte die stechende Sonne sie schon in Lebensgefahr gebracht. Die Treppe war gereinigt worden, doch ein dunkler Fleck war noch zu sehen. Skarre starrte zum Wald hinauf.
»Was hat dieser Junge hier oben gemacht?«
»Mit Pfeil und Bogen auf Krähen geschossen.«
»Darf er das?«
»Natürlich nicht. Er macht, was er will. Er wohnt in Guttebakken.«
Das schien alles zu erklären. Skarre begriff.
»Und er wußte auch, wer Errki ist?«
»Ja, sicher. Errki ist leicht zu erkennen. Der Junge tut mir wirklich leid. Zuerst findet er die tote Halldis. Dann entdeckt er Errki oben im Wald. Er war total erschöpft und außer Atem, als er bei mir ankam. Sicher hat er gedacht, er würde das nächste Opfer sein.«
»Weiß Errki, daß der Junge ihn gesehen hat?«
»Der Junge glaubt das zumindest.«
»Aber Errki hat nicht versucht, ihn aufzuhalten?«
»Offenbar nicht. Er ist einfach im Wald verschwunden.«
»Gehen wir ins Haus.«
Gurvin schloß die Tür auf und führte Skarre durch den kurzen Flur in die Küche. Für Jacob Skarre nahm Halldis Horn Gestalt an, als er den Linoleumboden betrat und die aufgeräumte Küche sah. Kupferkessel, blank und sauber. Ein altmodisches Spülbecken mit grünem Gummirand. Ein
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