Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
alter Evalet-Kühlschrank. Und die Zeitung von gestern, die zusammengefaltet auf der Fensterbank lag. Ansonsten war hier geputzt und staubgesaugt worden. Skarre öffnete die Brottrommel.
»Wo habt ihr Fingerabdrücke gefunden?«
»Auf der Türklinke und am Rahmen der Küchentür. Auf der Brottrommel waren nur die von Halldis. Wenn die Abdrücke, die wir gefunden haben, vom Mörder stammen, warum waren dann die auf der Hacke so undeutlich? Und warum gibt es auf der Brottrommel keine? Wie kann er die Brieftasche herausgenommen haben, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen, wo er doch sonst allerlei Gegenstände im Haus angefaßt hat? Das verstehe ich nicht.«
Skarre kniff die Augen zusammen.
»Ab und zu war doch sicher auch mal Besuch hier? Und hat Sachen angefaßt?«
»So gut wie nie. Wir haben allerdings einen Brief gefunden«, sagte Gurvin. »Abgestempelt in Oslo. ›Schau in den nächsten Tagen mal vorbei. Gruß, Kristoffer.‹«
»Ein Verwandter?«
»Wissen wir noch nicht. Aber ich glaube, daß sie ihren Mörder gekannt hat. In dieser Hinsicht ist die Statistik auf meiner Seite. Und dann ist er in Panik geraten.«
»Wir Menschen sind ja so empfindlich.«
Skarre ging ins Wohnzimmer. Dort stand Halldis’ Schaukelstuhl mit der karierten Wolldecke. Er hob die Decke hoch und roch vorsichtig daran, registrierte den Geruch von Seife und Kampfer. Ein Haar kitzelte seine Nase. Er faßte es mit zwei Fingern und zog daran. Es war vielleicht einen halben Meter lang und silbergrau.
»Hatte sie so lange Haare?« fragte er verwundert.
Gurvin nickte. »Früher war sie eine Schönheit. Uns Kindern war das gar nicht klar, wir fanden sie einfach dick und gemütlich. Dahinten hängt ihr Hochzeitsbild.«
Skarre ging hinüber. Der Anblick von Halldis Horn als Braut hätte jedem den Atem verschlagen können.
»Dieses Kleid war aus Fallschirmseide«, sagte Gurvin. »Und der Schleier aus einer alten englischen Gardine. Das hat sie uns erzählt. Und wir haben höflich zugehört, wie Kinder das eben machen; wir mußten doch irgendwie für Rhabarber und Himbeeren bezahlen.«
Unvermittelt drehte er sich um und ging wieder in die Küche.
»Wo ist das Schlafzimmer?« rief Skarre.
»Hinter dem grünen Vorhang.«
Skarre schob den Vorhang beiseite und öffnete die Tür. Es war ein kleines, schmales Zimmer, das Bett hatte ein hohes Kopf- und Fußende. Die Seite, auf der Thorvald geschlafen halle, war noch immer bezogen. Aus dem Fenster konnte er den Wald und einen Teil des Vorratshauses sehen. Über dem Bett hing ein gerahmtes Gedicht:
Sie sahen ihn unter den Falken.
Er kommt von Süden, er brennt.
Tragt alles hinaus, laßt nichts zurück.
Für jede Mücke in einem Spalt
wird er dich bald
zur Rechenschaft ziehen.
Darunter hatte jemand, vielleicht Halldis selbst, mit blauem Kugelschreiber folgenden Kommentar geschrieben: Wie schrecklich!
Skarre lächelte kurz. Und stellte fest, daß Gurvin verschwunden war. Er trottete ihm nach, suchte ziellos im Gras und hoffte auf irgendeine Offenbarung. Auf etwas, das die anderen übersehen hatten. Eine Kippe, ein Streichholz, egal, was. Er schaute noch einmal zum Haus hinüber. Unter dem Küchenfenster klaffte ein Loch im Holz, es war zwar ausgebessert worden, aber immer noch deutlich zu sehen.
»Das stammt von dem Tag, an dem Thorvald gestorben ist«, sagte Gurvin. »Halldis stand in der Küche. Thorvald saß auf dem Trecker. Sie winkte ihm zu. Wollte sagen, daß das Essen fast fertig war. Sie fand, daß er ungewöhnlich schnell fuhr, so als sei er auf seine alten Tage noch albern geworden und wolle sich ein bißchen aufspielen. Der Trecker dröhnte den Weg herunter. Und gleich darauf krachte er gegen die Wand. Halldis stand am Fenster und schaute ins Führerhaus. Sah, daß Thorvald über dem Lenkrad zusammengebrochen war. Er war sofort tot.«
Skarre schaute wieder zum Wald. »Wo sollten wir Errki suchen, was meinen Sie?«
Gurvin blinzelte in die Sonne.
»Der treibt sich sicher rum. Schläft mal hier, mal da. Seine Wohnung hat er nicht aufgesucht, bisher jedenfalls nicht. Vielleicht streift er noch durch den Wald.«
»Und weiter oben ist nur Ödland?«
»Ja, mehr oder weniger. Ein Ödland von vierhundertdreißig Quadratkilometern. Auf der anderen Seite des Hügels stehen etliche Ferienhäuser. Und dann sind da die Rodungen der alten Finnensiedlungen. Auf einigen sind später Hütten errichtet worden. Im Herbst nutzen die Jäger sie, manchmal legen Beerensammler dort eine Pause
Weitere Kostenlose Bücher