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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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scheinen, die Ordnung der Gesellschaft. Und auch auf der kleinen List, die Verantwortung dem breiteren Rücken aufzubürden.
Der Rücken unseres Direktors war recht breit, nicht nur im übertragenen Sinn. Unser Chef repräsentierte jene Sorte energischer Dickwänste, die – ähnlich wie seinerzeit Brutus – Cäsars These von den dicken Männern widerlegte. Vielleicht ist Ihnen bekannt, daß Cäsar gesagt haben soll: »Laßt dicke Männer um mich sein, sie sind gutmütig und zu keiner Verschwörung imstande.« Aber sein Freund oder illegitimer Sohn – doch lassen wir jetzt den historischen Klatsch, der heutige genügt uns! Ich rede von dem bekannten Brutus, der soll ganz schön dick gewesen sein.
Wir stürmten also ins Büro des Chefs, wobei wir unseren erschreckend ruhigen Peter Petrow vor uns hinstießen. In dem Gedränge vor der Tür müssen wir sogar versäumt haben anzuklopfen, denn er empfing uns mit ausgebreiteten Armen… bloß mit seinem breiten Rücken zu uns, nicht mit dem direktorlichen Bauch. Will sagen, er machte so etwas wie Morgengymnastik vor dem offenen Fenster, und daß wir ihn in solch intimem Augenblick überraschten, wirkte sich entschieden auf die Entwicklung der Ereignisse aus.
»Kollege Direktor, Petrow ist wieder da!« riefen wir alle drei in dem Bestreben, die Verlegenheit zu überspielen, aber das ging nicht so leicht.
»Schön willkommen«, knurrte der Direktor, »aber weshalb deswegen so ein Lärm?«
Zuerst machte er das Fenster zu, wobei er sich schnaufend auf die Zehenspitzen stellte, dann drehte er sich um, musterte Petrow, und sein Gesicht verfinsterte sich vollends.
»Willst du mich erschrecken? Was soll diese Maskerade?«
Mir fuhr der kalte Schreck in die Glieder, denn jetzt fiel mir erst ein, daß der Direktor beinahe sofort Petrows Planstelle in unserer Abteilung gestrichen und sie einer anderen Abteilung überschrieben hatte, um sie mit einem Protege von sich zu besetzen.
»Es ist keine Perücke, es ist richtiges Haar!« rief die Lekowa, und ich bemerkte, daß sie keinen Schluckauf mehr hatte. Wer weiß, warum, im Büro des Direktors war die Lekowa die einzige, die nicht stotterte. »Es ist richtiges, wir haben uns überzeugt!« rief sie enthusiastisch und zog zum Beweis an einem der nach allen Seiten abstehenden Büschel auf dem Kopf unseres ehemaligen Kollegen.
»Nicht möglich! Und wo hat man es dir transplantiert?« spottete der Direktor. Hoffnungslos kahlköpfig, kannte er die Probleme der Kopfvegetation besser als wir.
»Kollege Direktor, mit ihm ist etwas geschehn…«
»Etwas Schreckliches ist mit ihm geschehn…«
»Aber er kann sich an nichts erinnern…«
Mit solchen Beteuerungen fielen wir alle drei gleichzeitig über ihn her, und es ist jetzt natürlich schwer festzustellen, wer was gesagt hat.
»Ja, aber wir erinnern uns«, sagte der Direktor und zählte hinterhältig her: »Wegen Nichterscheinens zur Arbeit und unentschuldigten Fernbleibens, Paragraphen neunundzwanzig und hundertneunundzwanzig und so weiter…«
Hier ermannte sich sogar Dortschew, zusammen mit uns zu widersprechen: »Kollege Direktor, aber er ist wirklich… verstehen Sie, er…«
»So geht das nicht!« rief die Lekowa kriegerisch.
Der Direktor nahm eine der uns bekannten Posen ein, die stets das Gespräch abschlossen.
»Ich verstehe, ich verstehe, aber er muß auch verstehen, daß es mir inzwischen einerlei ist, wo er gesteckt hat. Gesetz ist Gesetz, und seine Stelle ist auch längst gestrichen. Und wenn er irgendwo gewesen ist, um sich Haare transplantieren zu lassen, so ist das…« Er gab auf einmal irgendwie merkwürdig und plötzlich seine Pose auf und fuhr weich fort: »Übrigens, laßt uns allein, damit wir uns verständigen.« Dann schrie er uns an: »Was mischt ihr euch überhaupt in Dinge, die euch nichts angehn!«
Ich schlich als letzter hinaus, weil ich bis jetzt den stocksteifen und stummen Petrow mit dem Gefühl am Arm festgehalten hatte, daß er hinfallen würde, wenn ich ihn losließ. Ich verließ das Zimmer, nachdem ich ihn behutsam in den Sessel an der Tür gesetzt hatte. Draußen blieben wir natürlich vor der Tür stehen und spitzten die Ohren, um zu hören, was drinnen geschah. Die Lekowa, mutiger als wir, hatte sich zum Schlüsselloch vorgebeugt, indes wir beide nicht einmal daran dachten, ihr Hinterteil zu betrachten, und aufpaßten, daß niemand den Korridor entlangkam.
Ich glaube, ich brauche unsere Neugier nicht zu entschuldigen. Einerseits war es die legitime Neugier

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