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Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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möhrenroten und stahlbläulichen Büschel, zog daran und schrie derart los, daß wir nicht dahinterkamen, ob vor Schmerz, vor Entsetzen oder vor stürmischem Jubel.
»Haar! Aber das ist ja richtiges Haar, keine Perücke, da seht!« Und er senkte den Kopf zu uns und raufte ihn sich mit aller Kraft.
»Schon gut, wir haben’s gesehn!« Dortschew verlor die Geduld. »Jetzt sag uns, wo du es herhast, dieses verrückte Haar.«
»Woher?« Petrow erstarrte, und wir begriffen endgültig, daß er uns kein Theater vorspielte. Seine Arme fielen herab, die Augen wurden leer, als hätten sie sich nach innen gekehrt und suchten dort die Erklärung, die wir von ihm erwarteten.
Wenn ich jetzt diese ungewöhnliche Szene beschreibe, die am Anfang einer ganzen Reihe noch unfaßbarerer Ereignisse stand, sehe ich in ihr lauter völlig normale menschliche Reaktionen. Manche von ihnen werden den Leser sogar komisch anmuten, doch wenn man einen Menschen beobachtet, ohne unmittelbar beteiligt zu sein, nimmt er sich oft auch unter den tragischsten Umständen lächerlich aus. Uns war aber damals gar nicht nach Lachen zumute, alles kam uns entsetzlich unnatürlich vor. Selbst wie endlich Leben in Petrow kam, wie er zum Fenster ging, den inneren Flügel aufmachte, um sich zu betrachten, wie er mit schlaffen Fingern die rätselhafte Flora auf seinem Kopf befühlte und sein Gesicht sich spannte und verhärtete, als würde er zu einem Stück gelblichgrauen Tropfsteins.
»Weißt du’s wirklich nicht?« fragte ihn Dortschew abermals.
Wir warteten und warteten, bis es die Lekowa aufstieß. Dann ein zweites Mal, und danach begleitete sie noch lange das furchtbare Drama, dessen Zeugen wir waren, mit ihrem albernen Schluckauf. Anscheinend hatte sie die Luft zu lange angehalten, und ihr Atemrhythmus war durcheinandergeraten.
»Weißt du nicht mehr, wo du gewesen bist?« erkundigte ich mich behutsam.
»Hick!« machte die Lekowa, legte die Hand vor den Mund und blies die Backen auf.
»Von zu Hause komme ich«, vernahmen wir endlich Peter Petrows rauh gewordene Stimme.
»Und wann bist du wiedergekommen?« erkundigte ich mich.
»Von wo?«
»Überhaupt. Wo bist du dieses Jahr gewesen?«
»Hick!« wieherte die Lekowa, und ihre Augen quollen derart hervor, daß nicht viel gefehlt hätte, und sie wären über den Zeichentisch gekollert.
»Geh einen Schluck Wasser trinken!« fuhr ich sie an, und sie rannte hinaus.
Petrow hatte sich zu uns umgedreht und stierte mich an. Als ich seinem Blick begegnete, spürte ich, daß in Wahrheit etwas viel Schrecklicheres geschehen war, als daß jemandem plötzlich Haare auf dem Kopf gewachsen waren. Sicherlich war es sinnlos, meine Frage zu wiederholen, doch Petro sagte tonlos: »Ich habe deine Frage nicht verstanden, Ljubo.«
Alles in mir sperrte sich, um meine Worte zurückzuhalten, und ich duckte mich instinktiv hinter diese innere Barrikade, aber dem Rindvieh Dortschew mangelte es an jeglichem Taktgefühl.
»Es geht darum«, rief er, als sei er gefragt worden, »daß wir als deine Kollegen und Freunde ein Recht haben zu erfahren, wo du in dieser Zeit gewesen bist!«
Ja, es ging tatsächlich darum, daß Peter Petrow an ebendiesem Tag, aber genau vor einem Jahr, nicht zur Arbeit gekommen war. Gegen zehn hatten wir bei ihm zu Hause angerufen – er war nicht da. Wir ließen uns mit seiner Frau in ihrer Dienststelle verbinden, sie sagte uns, er sei sogar früher losgegangen; gesagt hätte er ihr nichts, weil sie noch geschlafen habe, sie habe ihn jedoch weggehen hören. Und seitdem fehlte, wie man so sagt, von ihm jede Spur. Die Miliz verständigten wir erst am nächsten Tag, weil wir keinen Grund hatten, nicht wenigstens vierundzwanzig Stunden zu warten. Der Ehestreit bewog uns, nichts zu überstürzen, obwohl er so etwas noch nie gemacht hatte und uns zumindest über sein Fernbleiben informiert hätte. Er war ein außerordentlich akkurater Angestellter. Was die Miliz im einzelnen unternommen hat, ist mir nicht bekannt, doch der Hund konnte seine Spur nur bis zur Mitte der Straße verfolgen, weil in der Nacht inzwischen fünf Finger hoher Schnee auf Sofia gefallen war. Er schmolz rasch weg, aber mit ihm waren auch die Spuren unseres Petrow weggeschmolzen. Und wenn ich erst hier berichte, was mit ihm geschehen war, so nicht, um einem billigen Schriftstellertrick zuliebe den zu Beginn der Erzählung versprochenen chronologischen und dokumentarischen Ablauf der Dinge zu durchbrechen, sondern weil wir die Wahrheit wohl kaum

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