Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kontaktversuche

Kontaktversuche

Titel: Kontaktversuche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
Vom Netzwerk:
jemals genau erfahren werden, und was danach kam, geht in dieser Aufeinanderfolge weiter.
Nachdem Dortschew so unbesonnen mit der Wahrheit herausgeplatzt war, ging ich schnell zu meinem Freund hin und führte ihn zum Platz der Lekowa, wo ich ihn hinsetzte. Äußerlich nahm er die Eröffnung nicht sonderlich tragisch auf. Nachdem er sich von der Realität des rätselhaften Gewächses auf seinem Kopf überzeugt hatte, erschien es ihm vielleicht gar nicht so schrecklich und unannehmbar. Wie dem nun auch sei, er lehnte sich von selbst auf dem Stuhl zurück, schwieg eine geraume Weile und sagte dann unerwartet ruhig: »Ihr behauptet also, daß ich ein ganzes Jahr weggewesen bin, ja?«
Ich hielt ihm die Zeitung hin. Er schaute ziemlich lange auf das Datum, mir schien es sogar, als lese er die Überschriften auf der ersten Seite, und seine Ruhe ermutigte mich so sehr daß ich noch auf den großen Wandkalender von Maschinoexport zeigte, auch meinen Taschenkalender vor seiner Nase aufklappte, aber er stieß ihn ärgerlich weg.
Ich wußte nicht, was ich noch machen sollte, der siebengescheite Dortschew wußte es offenbar auch nicht und hatte es endlich für klüger gehalten zu schweigen. Plötzlich sprang Petrow auf das Telefon zu und drehte die Scheibe mit solcher Schnelligkeit, daß er sich bestimmt verwählt hatte oder die Verbindung nicht richtig zustande gekommen war. Er wartete mit der Hörmuschel am Ohr, dann wählte er, nun schon sorgsamer, zum zweitenmal, möglicherweise aber eine andere Nummer.
»Ich möchte Kollegin Petrowa sprechen«, sagte er halblaut und eindringlich. »Palma Petrowa.«
Ich weiß nicht mehr, ob ich damals nicht gedacht habe, daß man bei einer Frau mit so einem Namen schon für längere Zeit verschwinden könnte – wie ich zu Anfang bemerkte, kann ich mich für die Genauigkeit mancher Einzelheiten nicht verbürgen. Allerdings möchte ich nicht glauben, daß mir in so einer Situation auch Gedanken gekommen sind wie diese: Was für eine Palme mag sie sein, eine Kokospalme oder eine Dattelpalme oder… Von anderen Arten habe ich eigentlich nie etwas gehört, und in Wirklichkeit habe ich nur diese Parodie auf die Palme gesehen, die im Büro unseres Direktors steht und überhaupt keine Früchte trägt. Übrigens hatten Petrow und seine Palme auch keine Kinder.
»Wo ist sie? Aber zur Arbeit kommt sie?« fragte er, fuhr sich mit der freien Hand über den Kopf, zuckte aber erschrocken zurück. »Ihr Mann…«, gab er jemandem zur Antwort und beeilte sich, das Gespräch abzubrechen. »Sagen Sie, daß ihr Mann nach ihr gefragt hat!«
»Hick!« sagte die Lekowa hinter uns, und wir machten vor Schreck einen Luftsprung. »Uff! Es ist doch wie verhext!«
Ich weiß, daß jeder Schriftsteller oder Redakteur, der etwas auf sich und seine Leser hält, so einen abgegriffenen Trick, wie es der Schluckauf einer seiner Figuren ist, geradezu albern finden muß, aber was soll ich machen, wenn unsere ebenso liebreizende wie dumme Kollegin damals keine passendere Reaktion fand? Ich schildere tatsächliche Ereignisse, und in der Wirklichkeit treibt das Gewöhnlichste wie das Tragischste oder das Erhabenste auf dem breiten Lebensstrom von Banalitäten und Schablonen – vielleicht, damit wir es leichter unterscheiden können. Deshalb werden sich trotz meines berufsbedingten schlechten Gewissens auch weiterhin gesetzmäßig Banalitäten in meiner Geschichte finden. Sonst würde ich gegen die Glaubwürdigkeit verstoßen.
»Halt dir die Nase zu!« rief ich da der Lekowa in dem instinktiven Verlangen zu, daß die Spannung im Zimmer nachlassen möge.
»Sie ist schon ganz blau vom Zudrücken.« Sie verdrehte leidend ihre nun schon nicht mehr langgemalten Augen, leidend und erschrocken, daß sie vielleicht etwas Wichtiges verpaßt haben könnte. Das Gesicht hatte sie sich auch gewaschen, der schwarze Strich zur Schläfe hin war weg. Und ganz nach den mir unbegreiflichen Gesetzen der weiblichen Gehirntätigkeit sagte sie: »Der Chef ist gekommen, gehen wir zu ihm.«
Wenn ich jetzt daran denke, weshalb wir das gemacht haben, könnte ich aus der Haut fahren. Die Dinge hätten sicherlich einen glücklicheren Verlauf genommen, wenn wir Petrow zu seiner Palme oder in irgendeine Kneipe gebracht hätten, um seine Rückkehr zu feiern. Aber wenn der Mensch sich nicht mehr zu helfen weiß, läuft er, wie’s aussieht, lieber zu seinem Chef. Auf diesem Reflex und auf dem Glauben, daß der über dir mehr weiß und mehr kann, beruht, will mir

Weitere Kostenlose Bücher