Kontaktversuche
Der Wind heulte bereits. Die Drift vollzog sich mit zunehmender Geschwindigkeit, ich entfernte mich immer mehr von meinem Ziel, außerstande beizudrehen. Mir blieb nur übrig, mich über Wasser zu halten, soweit das überhaupt möglich war. Die Jacht hopste und schnellte mit gewaltigen Sätzen dahin. Der Wind riß mir beinahe die Leine aus den Händen. Ich hing mit dem ganzen Körper über dem Wasser.«
»Hatten Sie Furcht?«
»Finden Sie nicht auch, daß es schwer ist, so eine Frage zu beantworten? Offen gesagt, meine Angst war nicht allzu groß. Gerät ein Mensch erst einmal in Panik, ist er nicht imstande, ein Segelboot zu steuern. Außerdem habe ich schon andere Sachen mitgemacht.«
»Ich verstehe, Sie sind Kosmonaut.«
»Das wichtigste für mich war, beschäftigt zu sein. Der schaumbedeckte Ozean, die sich auftürmenden Wellen waren bestimmt angsteinflößend, aber ich kam gar nicht dazu, sie anzusehen. Ich mußte auf jede Veränderung von Windstärke und -richtung achten. Und als schließlich ein richtiger Hurrikan ausbrach, plötzlich und unverhofft, lag ich im Nu im Wasser neben dem gekenterten Boot, ohne zu begreifen, was eigentlich geschehen war. Noch preßte ich die Leine in meiner Hand. Irgendwie gelangte ich zum Bootskörper, klammerte mich an ihm fest, und dann begann das Spiel. Nein, ich versprach, exakt zu sein: Dann begann der Kampf um jede Sekunde Leben.«
Anton verstummte für einen Augenblick. Die Erinnerung war so frisch und wirklichkeitsnahe, daß sie ihn fast erstarren ließ. Seine Muskeln spürten noch die Spannung, die Lungen die Qual des Erstickens.
Er nahm alle Kraft zusammen, um seinen Bericht fortzusetzen.
»In meinen Ohren toste das andauernde Geheul von Wasser und Wind. Ich wußte nicht mehr, wo das Wasser zu Ende war, die Luft glich einem Höllengebräu aus Gischt und Wasserstaub. Der Himmel aber war klar, alles rundum glitzerte in der strahlenden Sonne. Ich war geblendet. Wie ich schon sagte, war die Jacht mit Ballons ausgestattet. An sich eine ausgezeichnete Sache! Doch sie hoben den Bootskörper über den Wasserspiegel, und die Wellen machten mit ihm, was sie wollten. Sie schleuderten ihn hoch, um ihn im nächsten Augenblick wieder unter sich zu begraben. Einmal geriet ich unter die Jacht, ein andermal wurde ich halbertrunken nach oben getragen. Ich meinte, die Sturmböen würden mir die Lungen zerfetzen. Wie lange das Inferno dauerte, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich nicht sehr lange. Meine Kräfte verließen mich, ich fühlte, daß ich nicht mehr weiterkämpfen konnte. Bis zum Ende des Sturmes würde ich nicht durchhalten. Das stand für mich fest. Ich begann an den Tod zu denken.«
»Erwarteten Sie denn keine Hilfe von der Station?«
»Nein. Wären Sie während des Sturmes hiergewesen, würden Sie diese Frage jetzt nicht stellen. Später habe ich erfahren, daß die Windstärke nicht mit der irdischen Skala zu messen war und daß die Wellen nur deshalb nicht über zwölf Meter anwuchsen, weil der Wind sie einfach niedergedrückt hatte. Ich sagte Ihnen doch schon, die mich umgebende Welt glich einem unvorstellbaren Gemisch aus Luft und Wasser. Kein Flugzeug, kein Schiff wäre vorwärts gekommen, kein Unterwasserfahrzeug hätte sich der Oberfläche nähern können, geschweige denn, mich in diesem Chaos zu suchen.«
»Fahren Sie fort!«
Jetzt müßten sie zum eigentlichen Anliegen des Gesprächs kommen. Anton wußte jedoch, er würde keine Worte finden, die ihn in den Augen des anderen glaubwürdig erscheinen ließen.
»Ich verlor das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich direkt auf dem Wasser. Die Jacht befand sich an meiner Seite, ebenfalls an der Oberfläche. Ich blickte mich um, ohne etwas zu begreifen. Noch war ich völlig durcheinander und empfand die Situation als unreal, ohne aber den Grund dafür zu erfassen. Das ohrenbetäubende, nicht nachlassende Heulen des Sturmes ließ die Luft erzittern, ich aber spürte nicht einmal den leisesten Windhauch. Ringsum, ganz nahe, streckten die Wellen sich dem klaren, ungetrübten Himmel entgegen. Die Luft war erfüllt von flirrendem Wasserstaub. Ich richtete mich auf, stützte mich mit den Händen ab, blickte unter mich in die Tiefe und erstarrte. Ich lag auf der durchsichtigen Unendlichkeit des Ozeans. Das Wasser war fest und zäh wie… Haben Sie einmal eine Meduse berührt? Ja, wie die Glocke einer Meduse. Da bekam ich zum ersten Mal echte, beklemmende Angst, mir wurde schwarz vor Augen. Kriechend, fallend, völlig
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