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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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Person verstehen sollte, die weiterhin unermüdlich in ihrer merkwürdigen Sprache daherplapperte. Mach das Ding aus, sagte der Kommandant schließlich und teilte, als alles verstummte, mit, das sei kein Esperanto. Er sagte genau: Leider ist das kein Esperanto. Sollten sie von ihm denken, was sie wollten. Er unterdrückte zwar den Wunsch, einig e Worte zu dieser Übersprache zu sagen, die einer besseren Verständigung zwischen den Menschen dienen sollte, war aber überzeugt, dass das Anliegen ihres Erfinders nie an Bedeutung verloren habe und man heute mehr denn je das Bedürfnis nach einer Sprache verspüre, die niemandem gehört, da so Irritationen vermieden würden, die sich allein daraus ergeben, dass das ein oder andere Volk oder eine Einzelperson oder ein Leiter einer internationalen Institution seine eigene Sprache benutzt. Meine Herren Soldaten, sagte er schließlich, warten wir noch etwas ab, in dieser Situation spielen ein paar Stunden mehr oder weniger keine Rolle, dann aber, vor allem wenn wir bis dahin keine Verbindung zum Hauptquartier bekommen, treffen wir eine Entscheidung über unser weiteres Schicksal. Auf jeden Fall wollen wir hier nicht müßig herumsitzen und Schafe zählen. Die Schafe hatte er freilich nur symbolisch gemeint, aber es ist erstaunlich, wie viele Männer sich umdrehten, um diese Schafe zu sehen. Die Schafe seid ihr selbst, dachte der Kommandant. Für einen Augenblick fühlte er sich besser, wusste aber, dass dies nicht lange anhalten würde, und eilte deshalb zu seiner kleinen Kammer, vor der schon zwei Soldaten auf ihn warteten, der eine war Mladen, den zweiten in einer Tarnuniform hatte er vorher noch nie gesehen. Später sollte sich herausstellen, dass er ihn doch gesehen, aber nicht beachtet hatte, so wie er die meisten Soldaten nicht beachtete. Sie sind, dachte der Kommandant, ja nur eine verfügbare Masse, Kanonenfutter, man sollte mit ihnen keine engere Beziehung eingehen, weil sich das auf die Gefühle auswirkt, und wenn es etwas gibt, was ein Soldat, zumal ein Berufssoldat wie er, meiden sollte, dann sind es gerade Gefühle. Tränen in den Augen, Herzflimmern, ein trockener Mund und jene schwer zu beschreibende Aufwallung in der Brust – all das sollte ein Soldat respektieren, sich selbst aber davor hüten. Hast du Tränen in den Augen, siehst du alles doppelt, und wenn du in dem Augenblick zielen musst, weiß der Kuckuck, was du da triffst. Erbebt dein Herz, zittern auch deine Hände, und sollte der Feind gerade dann beschließen, zum Angriff überzugehen, bist du zu nichts zu gebrauchen. Der Kommandant sprach, ohne sich darauf vorbereitet zu haben. Er war stolz auf seine Fähigkeit, mit Worten umzugehen. Ich hätte Dichter werden sollen, dachte er und betrachtete, die Stirn an die Fensterscheibe gelehnt, die Blumen auf den Wiesen. Da vernahm er Mladens diskretes Räuspern und schlug sich mit der Hand auf die Stirn: Wie konnte er die beiden nur vergessen. Ja, Mladen, sagte der Kommandant, drehte sich zu ihnen um und blickte genau in die Mündung des Gewehrlaufs des zweiten Soldaten. Bumm, sagte dieser, bumm, bumm, und der Kommandant sah deutlich, wie sich, einem Strudel aus Stahl gleich, die Kugel drehte, bereit, sich in sein Herz zu bohren. Wir sind gekommen, um zu verhandeln, sagte Mladen. Er begann zu reden und machte keine Pause, bis auf zwei oder drei Mal, als er den zweiten Soldaten aufforderte, seine Worte zu bestätigen oder zu widerlegen, was der auch elegant tat. Insgesamt gefiel dem Kommandanten dieser Soldat vor allem als Vorbild dafür, wie Soldaten eigentlich sein sollten; was ihm jedoch gar nicht gefiel, war die Leichtigkeit, mit der er sein Gewehr auf ihn gerichtet hatte. Selbst wenn das ein Zufall war, dachte der Kommandant, aber umso mehr, wenn es nur ein Zufall war. Kurz und gut, Mladen sagte, er habe, seit sie zum Kontrollpunkt gekommen seien, die Entwicklung beobachtet, die Stimmung unter den Soldaten sei auf einen absoluten Tiefpunkt gesunken, die Unzufriedenheit wachse ständig, so dass man jeden Augenblick mit einer Rebellion rechnen könne, zu der es auch schon gekommen wäre, hätten die Soldaten gewusst, welchen Weg sie nehmen, welche Richtung sie einschlagen sollten, um »nach Hause« zu gelangen. Deshalb, sagte Mladen, hätten die eine Abordnung zu ihm geschickt mit der Bitte, ihnen gegen eine gewisse Vergütung den Weg zu zeigen, der sie – natürlich durch den Wald – auf einen anderen Weg führen und sie dann »nach Hause« bringen

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