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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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Becketts und träumten nur noch von einem Ort, an dem sie sich beruhigen und an einer Pastinake knabbern können, von einem Ort, der ein Fass sein kann oder eine Mülltonne oder ein Hügel, auf dem ein nackter Baum wächst (oder besser gesagt dahinkümmert). Der Kommandant sah auf die Uhr und dachte, Mladen und sein Begleiter müssten jetzt schon weit weg sein, eingehüllt in die Schatten des Waldes. Er fragte sich, ob es ihnen gelingen würde, etwas zu finden, oder ob dieser Krieg als eine eigenartige Verwirrkomödie in die Annalen eingehen würde. Anders sei ihre Lage wohl nicht zu definieren: Sie wissen nicht, wo sie sich befinden, man hat ihnen nicht eröffnet, was ihre Hauptaufgabe ist, jemand beabsichtigt, sie alle nacheinander zu töten, kein Mittel der Kommunikation funktioniert, die Essensvorräte schmelzen dahin, und früher oder später wird der Herbst kommen, danach der Winter, aber an diese Widrigkeiten will er jetzt gar nicht denken, es gibt genug andere schreckliche Dinge, die wie jedes Haustier Aufmerksamkeit verlangen. Der Kommandant ist, das kann man ruhig sagen, ein Kriegsveteran. Er kämpfte in verschiedenen Armeen, unter verschiedenen Flaggen, er war sogar bei den UN -Blauhelmen. Er kann sich nicht mehr erinnern, ob das im Libanon oder im Gazastreifen oder vielleicht auf Zypern war, aber es hat Spaß gemacht, er hat gut verdient und viel beiseitegeschafft, wunderschöne Perserteppiche gekauft, Haschisch probiert und sich mehrere Male in öffentlichen Häusern angesteckt, in denen man es offenbar mit den Hygienevorschriften nicht ganz ernst nahm. Der Kommandant hätte jetzt gern an die großen, rehbraunen Augen der dreizehnjährigen Mädchen und gelegentlich – eigentlich nur einmal, betont er – der noch jüngeren Knaben zurückgedacht, aber daran hinderten ihn polternde Soldaten vor seiner Tür. Was ist los, brüllte der Kommandant und riss die Tür auf, warum schreit ihr so, ihr verdammten Kerle? Steht hier nicht klar und deutlich geschrieben, dass ich schlafe, oder habt ihr alle das Lesen verlernt? Er zeigte auf ein Stück Papier an seiner Tür, auf dem tatsächlich stand: »Ich schlafe! Nicht stören!« Die Soldaten waren jedoch viel zu aufgeregt, sie hörten ihm gar nicht zu, sondern packten ihn an den Händen und zerrten ihn zum Ausgang. Und erst am Kontrollpunkt erkannte der Kommandant, was sie meinten. Leute, riefen sie, Es kommen Leute! In der Tat, den Weg herauf auf die Schranke zu bewegte sich eine Menschenkolonne, lang und auseinandergezogen, ihr Ende noch immer im Wald verborgen. Der Kommandant fasste sich an den Kopf und versuchte sich zu erinnern, wo er die Vorschriften zur Behandlung von Flüchtlingen und zum Asylverfahren hingetan hatte. Er wusste nur noch, dass irgendwo am Anfang stand, das Gastland müsse den Asylsuchenden ungehinderte Kommunikation gewährleisten, was mit anderen Worten bedeutete, man müsste einen Dolmetscher engagieren. Aber für welche Sprache, fragte sich der Kommandant. Er klatschte sich schnell Kölnischwasser ins Gesicht, kämmte das Haar glatt, setzte eine Sonnenbrille auf und rückte seine Mütze so zurecht, dass der Schirm seine Augen ein wenig verdeckte. Der Kommandant bildete sich nämlich, wie übrigens viele Männer, ein, einen fatalen Blick zu haben, dem kaum jemand widerstehen kann, vor allem nicht, wenn er auf eine lange Sprechpause folgt, die mit dem langsamen Absetzen der Brille einhergeht. Die Menschenkolonne kam inzwischen immer näher, und wir konnten bald erkennen, dass sie, obwohl sie von Männern angeführt wurde, hauptsächlich aus Frauen, Kindern und Greisen bestand. Dennoch nahmen die Soldaten um die Schranke herum Stellung ein und richteten ihre Waffen auf die Kolonne. Man weiß ja nie, woher ein verrückter Selbstmörder mit um den Leib gebundenem Sprengstoff und mit den Taschen voller Handgranaten rausgesprungen kommt, und das kann sowohl ein Mann als auch eine Frau, ja sogar ein Kind oder eine unschuldig wirkende Greisin sein. In dem Fall gibt es kein Zögern, besser man schießt zuerst und informiert sich hinterher über die angeblich harmlosen Absichten der Person, die einem verdächtig war.

Er zählte zehn tote Soldaten – neun gemeine und einen Zugführer –, was ein Drittel der Kompanie ausmachte. Falls der Feind zurückkehrte und sie mit voller Kraft angriff, würden sie ihm nicht lange Widerstand leisten können. Das wäre ein sinnloser Verlust, wenn man bedachte, dass sie ein Objekt bewachten, ohne zu wissen,

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