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Kontrollpunkt

Kontrollpunkt

Titel: Kontrollpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Albahari
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würde. Der Kommandant fragte sich, warum Mladen ständig »nach Hause« so aussprach, als stünde es in Gänsefüßchen. Sollte damit angedeutet werden, dass das »Zuhause«, zu dem sie zurückkehren wollten, nur ein symbolisches »Zuhause« war, das es in Wirklichkeit nicht gab? Aber bevor der Kommandant dazu kam, diese Fragen zu stellen, berichtete Mladen weiter, dass die Soldaten von ihm verlangt hätten, einen Kameraden auszubilden, der ihn begleiten, ihm in schwierigen Situationen beistehen und der schließlich mit allen Informationen ausgestattet allein zum Kontrollpunkt zurückkehren sollte. Mit anderen Worten, Mladen würde zu diesem Zeitpunkt schon frei sein zu gehen, wohin es ihm beliebe, die Soldaten hingegen wollten erst einen Aufstand anzetteln und ihm danach folgen. Aber, sagte Mladen, stockte dann und blickte zu dem anderen Soldaten, der sich daraufhin räusperte und sagte, dass die Mehrheit der Soldaten zwar für einen Aufstand sei, es aber auch einige gebe, die bereit seien, dem Kommandanten zu folgen. Auch er selbst, sagte der Soldat, sei dafür, nur wüssten die anderen nichts davon. Während Mladen ihm in einem Schnellkurs beigebracht habe, wie man sich in der Natur zurechtfinde, habe sich herausgestellt, dass sie beide dasselbe dächten und einen solchen verräterischen Akt nie unterstützen würden. Oh, danke, ich danke euch, sagte der Kommandant mit vor Rührung erstickter Stimme, wobei er hoffte, er würde nicht in Tränen ausbrechen. Und, was schlagt ihr mir vor?, brachte er es schließlich fertig zu fragen. Wir werden diese sogenannte »Expedition« unternehmen, sagte Mladen und betonte wieder die Anführungszeichen, danach den Soldaten jedoch erzählen, was sie nicht gerne hören werden, nämlich dass wir nirgendwo einen Weg aus dem Wald gefunden haben und hier bleiben müssen. Wohingegen wir Ihnen, sagte der zweite Soldat, die wahre Sachlage schildern werden. Danach, sagte Mladen mit einem gerissenen Grinsen, werden wir alles auf die bestmögliche Art regeln. Der Kommandant verstand genau, was dieser vorschlug: Dieselbe Anzahl von Toten, die sich durch den Aufstand ergeben würde, sollten sie durch Erschießungen erzielen. Darüber sprechen wir noch, erwiderte der Kommandant. Sagt aber zuerst, wann ihr aufbrechen wollt. Heute Nacht, sagte der andere Soldat, und Mladen bestätigte es mit einem Kopfnicken. Erst da fiel dem Kommandanten ein, woher er den anderen kannte: Kurz nachdem sie angekommen waren, vielleicht am zweiten oder am dritten Tag, wurde diesem Soldaten nach dem Mittagessen übel. Da die Ambulanz noch nicht eingerichtet war, erlaubte der Kommandant ihm, sich am Nachmittag in seinem Zimmer aufzuhalten. Bald darauf brachte man den Soldaten in die auf die Schnelle eingerichtete Ambulanz, aber als der Kommandant sich am Abend schlafen legte, war der Duft des Rasierwassers des Soldaten so stark, dass er fast bis zum Morgengrauen keinen Schlaf fand. Er wechselte den Kopfkissenbezug, aber der Geruch des Rasierwassers steckte immer noch in seiner Nase und hinderte ihn am Einschlafen. Na gut, sagte der Kommandant zu seinem Kopfkissenbezug, dann schlafe ich halt nicht. Er wollte ihm auch sonst noch allerlei sagen, aber es war nicht zu leugnen, dass er Angst hatte vor dessen Zorn, vor dessen wütendem Angriff, vor der erschreckenden Möglichkeit, dass der Bezug sich, während er schlief, über seinen Kopf stülpen könnte. Der Kommandant tätschelte ihn leicht, worauf dieser zart seufzte und sich unter einem Stuhl zusammenrollte. Der Kommandant sah lange Zeit besorgt aus dem Fenster, denn ihm war klar, dass man alles Mögliche über ihn denken würde, wenn herauskäme, dass er sich mit seinem Kopfkissenbezug unterhielt und dass, was am schlimmsten war, dieser auch noch auf ihn hörte! Verrückt, hier sind alle verrückt, schrieb in einem Gedicht seine Lieblingspoetin Margareta Grinvald, als wäre sie Augenzeugin dessen gewesen, was der Kommandant erlebt hatte. Ihr nächster Vers lautete zwar: Ich auch, ich bin die Verrücktes te von allen. Danach wurde das Gedicht zu einer freudlosen Schilderung ihrer Unzufriedenheit mit den soeben gelieferten Möbeln, was wahrscheinlich niemanden interessierte, allerdings war der Schluss des Gedichts durchaus gelungen. Oh, meine Muse – lautete der –, schenk’ mir statt Worte manchmal dich selbst, sorge dich nicht, der Himmel wird dich nicht vergessen. Sich mit Poesie zu befassen, während an allen Ecken und Enden Krieg tobt, kann die Rettung

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