Kopernikus 1
die fernsten Enden ihres Körpers wich und zurückflutete, durch jede Arterie, Kapillare, Vene ihres Körpers pulste, durchdrungen von einem Gefühl, heftig und tief wie ein Schrecken, doch das war es sicher nicht. Ihre Hände zitterten über den Instrumenten.
Chaim nickte hinter ihrem Rücken und räusperte sich. „Klar … Mal sehen, was wir entdeckt haben.“ Er nahm am Instrumentenpult neben ihr Platz, seine Stimme war heiser. „Sieh dir das an. Es ist überhaupt kein Anzeichen von Strahlung festzustellen. Alles muß noch in einwandfreiem Zustand sein!“ Er grinste, als er endlich langsam wieder zu sich kam.
Sie nickte und fühlte, wie ihre eigene Freude erneut die Form wechselte, als sie die Zeichen neben ihm las. Sie sah, wie die Symbole unerwartet flackerten, bedingt durch die gelegentliche Energiefluktuation, die sie seit dem Start begleitete. Es erschien ihr wie eine Ironie, daß nach einer Gigasekunde diese Fabrik noch in einem besseren Zustand war als ihre eigene Ausrüstung. Wieder glitt ihr Blick über die Schirme, noch immer gefesselt. „Chaim, sieh mal. Sieht so aus, als wäre außer uns noch etwas im Orbit.“
„Ein anderes Schiff?“
Sie nickte und deutete auf den Schirm.
„Anzeichen von Energie?“ Er sah an ihr vorbei.
„Nein …“
„Hm.“ Abrupt ließ er sich wieder schweben. „Muß ein Überbleibsel sein; sieht nicht besonders vielversprechend aus. Wir können uns auch noch später darum kümmern und nachsehen, was davon übrig ist. Aber zuerst möchte ich diese Fabrik sehen!“
Sie widersprach nicht.
Sie brachte das Schiff so nahe an die Quelle der aufregenden Computerausdrucke heran wie sie konnte, doch sie führte das komplizierte Manöver nur mit halber Konzentration durch. Sie durchliefen das Ritual des Anziehens und des Ausstiegs durch die Luftschleuse, auf eine weitere, unbekannte Welt, als durchliefen sie das alles zum erstenmal. Der Planetoid drehte sich sonnenwärts in einen neuen, flüchtigen Tag, und das Licht des fernen Himmels versilberte die geglättete Steinoberfläche des Dockgeländes, erleuchtete die schlanke Insektenform der Mutter hinter ihnen – und hob die schimmernde Fassade der Fabrik vor ihnen deutlich gegen den schwarzen Hintergrund des Alls ab. Sie schien aus dem Stein selbst zu wachsen, ein Eisberg, herausragend aus einer gefrorenen See, der größere Teil des Kraftwerks unter der Oberfläche verborgen. Wunderschön, inkongruent, gewaltig – defekt. Obwohl nicht vertraut mit der Form, erkannte sie doch den klaffenden, unnatürlichen Bruch an einer Seite. „Chaim, sieht aus, als wäre es getroffen worden.“
„Ich weiß. Aber es ist keine Strahlung feststellbar.“ Er wiederholte die Bildschirmanzeige wie ein Gebet. „Der Reaktor muß intakt sein. Der allein ist ganz bestimmt ein Schiff wert, und außerdem … ach, das ist alles eine ganze Menge wert! Und schau dir die Waldos an, sie sind völlig unbeschädigt. Zu Hause kenne ich eine Fabrik, die allein dafür ein Vermögen zahlen würde.“
Sie durchquerten die Distanz zum aufragenden Schatten der Fabrik mühelos, und ihre Körper schienen so leicht zu sein wie ihre Gedanken. Die Luftschleuse, die Zugang zu der Anlage gewährte, öffnete sich klaffend zu einem Schrei ewiger Pein, doch dieses Mal fühlte sie nichts von der morbiden Vorstellung, die sie beim letztenmal heimgesucht hatte. Sie schritten in die geborstene Höhle der Fabrik hinein.
Nahe dem Eingang fanden ihre Scheinwerfer den breiten Tunnelzugang, der ins Herz des Planetoiden hinabführte, wo vor dem Krieg Hunderte von Fabrikarbeitern gewohnt hatten. Sie gingen daran vorüber und betraten das Kraftwerk selbst. Dumpfe Illumination durchdrang das Innere der geborstenen Wand zu ihrer Rechten, langsam gewöhnten ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse. Aufblickend sah Mythili Krane und einige unerklärliche Vorrichtungen, die wie Stalaktiten von der Decke herabhingen und die schattigen Wände und Nischen zerfurchten, den Raum zu einem Labyrinth stummer Mysterien machend, das sie durchschwebten wie verlorene Seelen. „Weißt du, wohin wir gehen?“ fragte sie, plötzlich unsicher. „Wonach suchen wir eigentlich?“
Chaim nickte. „Mehr oder weniger. Ich hätte fast einmal an einem solchen Ort gearbeitet; man gab mir einführende Instruktionen. Ich möchte den Reaktor sehen, um abschätzen zu können, welches Ausmaß die Zerstörungen dort haben.“
Mythili sah hinunter auf den Strahlungsmesser am Handgelenk ihres Anzugs.
Weitere Kostenlose Bücher