Kopernikus 3
Sie zufällig in eine rötliche Nebelwolke geraten? Aha! Das dachte ich mir schon! Das war eine lokale Raum/Zeit-Anomalie, die Sie aus Ihrer eigenen Zeit in die Zukunft getragen hat.“
„In die Zukunft?“ fragte Nisher. „Was für eine Zukunft?“
„Einfach die Zukunft“, sagte der alte Mann. „Sie dürften Ihrer Zeit augenblicklich um etwa vierhundert Jahre voraus sein, plus minus ein paar Jahre.“
„Sie nehmen mich auf den Arm“, sagte Nisher. Er fragte den alten Mann danach mehrmals, wo er denn nun wirklich sei, und der alte Mann antwortete jedesmal, er sei wirklich in der Zukunft, und das entspräche nicht nur der Wahrheit, sondern sei auch keinesfalls ungewöhnlich, wenn es auch zugegebenermaßen etwas sei, das einem nicht jeden Tag widerfahre. Schließlich mußte Nisher die Situation akzeptieren.
„Schon recht, in Ordnung“, sagte er. „Um was für eine Zukunft handelt es sich denn?“
„Um eine ausgesprochen schöne Zukunft“, versicherte der alte Mann ihm.
„Wir wurden nicht von außerirdischen Kreaturen versklavt?“
„Ganz sicher nicht.“
„Hat der Mangel an fossilen Brennstoffen den Lebensstandard erheblich gesenkt?“
„Die Energiekrise haben wir bereits vor einigen Jahrhunderten gelöst, als wir eine billige Methode entdeckten, Sand in Schiefer umzuwandeln.“
„Welches sind Ihre größten Problem?“
„Wir haben keine größeren Probleme mehr.“
„Dann ist das also ein Utopia?“
Der alte Mann lächelte. „Das müssen Sie schon selbst entscheiden. Vielleicht möchten Sie sich während Ihres kurzen Aufenthaltes hier noch etwas umsehen?“
„Wieso kurz?“
„Diese Raum/Zeit-Anomalien sind selbstregulierend“, antwortete der alte Mann. „Das Universum wird Ihre Anwesenheit hier nicht sehr lange tolerieren, wenn Sie eigentlich dort sein sollten. Aber es dauert üblicherweise seine Zeit, bis das Universum reagieren kann. Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen? Nebenbei, mein Name lautet Ogun.“
Sie verließen den Park und gingen einen hübschen, von Bäumen eingerahmten Boulevard hinunter. Nach Nishers Meinung waren die Gebäude merkwürdig anzusehen, sie hatten zu viele ungewohnte Winkel und grelle Farben. Sie waren versetzt zu den Straßen erbaut, und vor jedem befand sich eine ausgedehnte Rasenfläche. Nisher kam die Zukunft wirklich ausgesprochen hübsch vor. Nicht besonders exotisch, aber hübsch. Überall promenierten Leute in ihren griechischen Gewändern, sie alle waren schön und wirkten wohlgenährt. Die ganze Stadt erinnerte an einen Nachmittag im Central Park.
Dann sah Nisher ein Pärchen, das ganz schön drastisch zur Sache kam. Die beiden hatten ihre Kleider ausgezogen. Um einen Ausdruck des zwanzigsten Jahrhunderts zu gebrauchen: Sie trieben es miteinander.
Niemand schien das als außergewöhnlich anzusehen. Ogun gab keinen Kommentar, also sagte auch Nisher nichts. Aber je länger sie gingen, desto mehr Leute fielen ihm auf, die es miteinander trieben. Sogar eine ganze Menge Leute. Nachdem sie das siebente solchermaßen beschäftigte Pärchen gesehen hatten, konnte Nisher sich nicht mehr beherrschen. Er fragte Ogun, ob sie es hier mit einem Sex-Freizeitzentrum zu tun hatten oder ob sie zufällig in eine Versammlung der Außerehelichen Beischläfer e. V. hineingeraten seien.
„Daran ist nichts Besonderes“, sagte Ogun.
„Aber warum treiben es diese Leute dann nicht daheim oder in Hotelzimmern?“
„Wahrscheinlich weil sie sich zufällig auf der Straße getroffen haben.“
Das erschütterte Nisher. „Sie meinen, diese Paare haben sich vorher überhaupt nicht gekannt?“
„Wahrscheinlich nicht“, sagte Ogun. „Sonst hätten sie sich wohl einen etwas komfortableren Ort zum Lieben ausgesucht.“
Nisher stand einfach da und starrte wie gebannt auf die Szenerie. Er wußte, das war unhöflich, aber er konnte nicht anders. Ganz davon abgesehen schien es auch niemanden zu kümmern. Er beobachtete, wie die Leute sich ansahen, wenn sie aneinander vorbeigingen, hin und wieder lächelten zwei Menschen sich zu, das Lächeln wurde erwidert, sie zögerten, und dann …
Nisher lagen zwanzig Fragen gleichzeitig auf der Zunge. Doch Ogun kam ihm zuvor. „Ich will versuchen, Ihnen das zu erklären, da Ihnen so wenig Zeit bleibt. Sie kommen aus einer Zeit sexueller Unterdrückung und Rebellion dagegen. Für Sie muß das hier ein außerordentlich zügelloses Spektakel sein. Für uns dagegen ist alles nur ein Ausdruck von Zuneigung und
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