Kopernikus 3
ein über die Lochöffnung gewebter Faden, die Lavaströme hingegen waren dicker. Sie wurden um so mächtiger, je tiefer der Käfig hinabsank, bis es schließlich nur eine glat te, schwarze Basaltschicht gab, von der der Lampenschein zurückgeworfen wurde. Unten zeigte sich noch immer kein Grund. Das Licht schien von einem gewaltigen Rachen verschluckt zu werden.
Howard richtete die Lampe nach oben, gerade rechtzeitig, um zu erkennen, daß die Felswand, der der Käfig gefolgt war, plötzlich nach innen schwenkte und zur Decke wurde. Er ließ das Licht darüber schweifen und entdeckte, daß es sich um einen weiten Felsendom handelte, der dort endete, wo die Grube anfing. Mit dem weiteren Hinabfallen des Käfigs über diese überraschende Stelle hinaus wuchs die Dunkelheit an, und bald blieben nur noch zwei Lichtpunkte: das Leuchten der Lampe und der Kamm einer einzelnen Bergspitze, die oberhalb der Grube in Sonnenschein gebadet wurde. Beim Ablaufen des Seils schwang der Käfig wie ein Pendel hin und her, aber noch immer konnte Howard nichts vom Boden se hen. Marians Stimme ertönte voller Sorge in seinem Helm.
„Das Seil ist fast zu Ende, Laris. Wieviel brauchst du noch?“
Howard blickte über den Käfigrand hinunter und strengte seine Augen in der Dunkelheit an, die vom Strahl der Lampe nicht im mindesten gebrochen wurde. „Zu viel“, flüsterte er, von dem unwägbaren Nichts unter sich und den Farben, die vor seinen geblendeten Augen in geometrischen Mustern erblühten, fasziniert.
„Zieht mich wieder hinauf. Wir müssen etwas anderes versuchen.“
Der Abstieg des Käfigs verlangsamte sich, er hielt an und begann dann emporzusteigen. Die Dunkelheit um Howard wirkte auf ihn wie ein lebendes Wesen ein, drängte und preßte sich eng an den Schutzanzug.
„Sprich mit mir, Marian“, krächzte Howard. „Sag etwas.“
„Was ist los?“
„Die schwarzen Formen …“ Howard spürte, wie ihm die Panik die Kehle zusammenzog, den Aufschrei unterband, der ihm über die Lippen laufen wollte. Er stammelte wirres Zeug, seine Gedanken rasten zurück zu allen Kindheitsphantasien über im Verborgenen lauernde Dinge, die ihm nur einfielen. Barmherzigerweise fiel der Lampenschein im nächsten Augenblick auf einen Felsen. Die Höhlenwand war plötzlich an ihre Stelle neben dem Käfig zurückgeschwenkt. Der vertraute Anblick, auf dem seine Augen Halt finden konnten, rettete ihm den versagenden Verstand. Nach der Dunkelheit blendete ihn das Lampenlicht, aber er starrte hypnotisiert darauf, bis der Käfig neuerlich an den Grubenrand stieß und er die auf ihn zulaufende Marian erblickte.
„Sie möchten also, daß ich Ihnen die Rückkehr erlaube.“ Der Vorsitzende Clifford war ein großer und hagerer Mann mit einem Glatzenansatz. Er war der Gründer der Kolonie Fünf, einer winzigen Ansammlung von verstaubten Druckluftkuppeln, die unter einer schützenden Falte von Randhügeln im Orient-Becken lagen, und war noch immer ihr höchster Verwaltungsbeamter. MacNeal O’Brien, Cliffords Assistent, den er von der Erde mitgebracht hatte, war der zweite Anwesende im Büro. Er saß schweigend hinter seinem Schreibtisch und las Howards Bericht über die Grube, während Clifford in dem winzigen Raum vor dem verschlossenen Fenster auf und ab ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
„Jawohl.“ Beim Sitzen in dem harten Sessel, der genau vor Cliffords Sessel stand, versuchte Howard, den Kopf so mitzudrehen, daß er den Verwalter nicht aus den Augen ließ, entdeckte jedoch, daß dieses Vorhaben nur für einen Schlangenmenschen möglich gewesen wäre.
„Warum?“ Im Gesicht des geduldig starrenden Direktors zeigte sich keine Spur eines Lächelns.
„Wegen der einzigartigen Gelegenheit, die sich uns jetzt bietet, die tieferen Schichten des Mondes und das Orient-Becken selbst zu untersuchen. Dr. Jackson und ich fühlen uns gedrängt, unsere Untersuchungen auf dem Gebiet fortzuführen.“
Clifford schien mit den Augen zu schielen. „Ich glaube, Sie vergessen, in welchem Zustand Sie waren, als Ihre Mannschaftsgefährten Sie in die Kolonie zurückbrachten. Der Arzt bezeichnete es als vollständigen Zusammenbruch.“
Howard zuckte mit den Achseln, äußerlich völlig ruhig, innerlich bemüht, sich ein Argument einfallen zu lassen, das Cliffords bekannte Abneigung gegen jedes Projekt dahinschmelzen lassen würde, das Mittel vom weiteren Ausbau der Kolonie abzog.
„Ich war auf die herrschenden Bedingungen nicht vorbereitet
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