Kopernikus 4
den letzten Schub stabilisiert haben, können sie den seltsamen Punkt aufblinken und wabern sehen.
„Klappt doch alles wie am Schnürchen.“
Der letzte Schub verwandelt den Kurs in eine schlingernde, trudelnde Bahn, das Sternenfeld schwankt vor dem Fenster auf und ab. Die Pillen nützen überhaupt nichts mehr, die Treibstoffleitung zu den Stabilisierungsdüsen versagt. Sie fühlen sich hundeelend, bevor es ihnen gelingt, die Handpumpe zuzuschalten und das Schlingern zu beseitigen.
„Das war’s, Gloria. Nun kommt und holt uns. Lichter an, Bud. Holen wir die Anzüge.“
Die Übelkeit niederkämpfend, nehmen sie die lästigen Routineüberprüfungen in der schwankenden Kabine vor. Plötzlich jauchzt Judys Stimme auf. „Wir sehen euch, Sunbird ! Wir sehen eure Lichter. Könnt ihr uns ebenfalls sehen?“
„Keine Zeit“, sagt Dave. Aber Bud, halb angezogen, deutet durch das Fenster. „He, Kumpels, seht euch das an!“
Lorimer starrt hinaus, glaubt ein winziges Lichtchen zwischen den wirbelnden Sternen zu sehen, bevor er sich wieder übergeben muß.
„Vater, wir danken dir“, sagt Dave leise. „Alles klar, packen wir’s an. Doc, los geht’s.“
Die Anstrengung, sich selbst, die Rückentornister und einige Frachtnetze aus dem rollenden Schiff zu befördern, verdrängt jeden weiteren Gedanken aus ihren Köpfen. Erst als sie miteinander verbunden durch das All schweben, stabilisiert durch Daves Handjet, hat Lorimer Zeit zum Nachsehen.
Die Sonne brennt zu ihrer Linken. Ein paar Meter über ihnen taumelt die verlassene Sunbird; sie sieht auf absurde Weise winzig aus. Vor ihnen, unendlich weit entfernt, sieht er einen Punkt, der zu hell und gelb ist, um ein Stern zu sein. Einleuchtend: die Gloria auf ihrem Tangentialkurs.
„Könnt ihr starten, Sunbird ?“ erklingt Judys Stimme in ihren Helmen. „Wir wollen angesichts eures Erschöpfungszustandes nicht länger warten. Wir schätzen, wir werden euch mit einer Annäherungsgeschwindigkeit von fünfzig Kays pro Stunde zu erwarten haben.“
„Verstanden. Gib mir deinen Jet, Doc.“
„Auf Wiedersehen, Sunbird .“ sagt Bud. „Los, Davie.“
Lorimer findet es auf kindliche Weise beruhigend, von den beiden kräftigen Männern durch die Schwärze gezogen zu werden. Er hat vollstes Vertrauen zu Dave, es kommt ihm nicht in den Sinn, daß er einen Fehler machen könnte, durch den sie vorbeischweben und in der Unendlichkeit verloren sein würden. Fühlt Dave Geringschätzung für ihn, fragt Lorimer sich; dieses völlige Schweigen – ist es Geringschätzung für jene, die nur mit Symbolen umgehen können, die nichts von der handfesten Materie verstehen …? Er konzentriert sich auf die Meisterung der Flugprobleme.
Es ist eine lange Reise im Dunkeln. Die Sunbird schrumpft zu einem blinkenden Licht; sie beschleunigt langsam in den spiralförmigen Kurs hinein, der sie unweigerlich ihrem Ende in der Sonne entgegenführen wird, mitsamt ihren wertvollen Aufzeichnungen, die seit dreihundert Jahren überholt sind. Auch mitsamt dem Paket Fotos, die Lorimer zweimal in seine Tasche gesteckt und zweimal wieder hervorgeholt hat, um sie dann doch zurückzulassen. Hin und wieder erhascht er einen Blick auf die Gloria, die langsam anwächst, von einem winzigen Lichtpünktchen zu einem unglaublichen, beleuchteten Torso.
„Jemine, ist das Ding groß“, sagt Bud. „Kein Wunder, daß sie nicht schnell beschleunigen können –, das ist ja ein fliegendes Parkhaus. Ich halt’s im Kopf nicht aus!“
„Es ist ein Weltraumschiff, nichts weiter. Hältst du die Netze noch fest, Doc?“
Plötzlich ist Judys Stimme wieder in ihren Helmen.
„Ich sehe eure Lichter! Könnt ihr mich sehen? Habt ihr noch genügend Treibstoff, um rechtzeitig abbremsen zu können?“
„Beides positiv, Gloria“, sagt Dave.
In diesem Augenblick wird Lorimer sachte herumgedreht, und er sieht – der Anblick wird sich ihm für alle Zeiten einprägen – das fremde Schiff im Sternenfeld und an dessen dunkler Seite die winzigen Lichter, die sie erwartenden Frauen. Drei, nein, vier; ein Anzuglicht bewegt sich weiter draußen. Wenn sie an einem Halteseil hängt, dann muß es über einen Kilometer lang sein.
„Hallo, ich bin Judy Dakar!“ Die Stimme ist nahe. „O Mutter, seid ihr groß! Geht es euch gut? Wie sieht es mit der Luft aus?“
„Kein Problem.“
Tatsächlich sind sie außer Atem und schweißnaß; viel zuviel Adrenalin im Blut. Dave setzt die Jets erneut ein, und plötzlich beginnt Judy zu
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