Kopernikus 5
schließlich auf Händen und Knien im Schlamm landete.
Der Mündungsknall war nicht lauter gewesen als das Geräusch eines Sektkorkens, aber der junge Mann mußte ihn gehört haben. Für einen Augenblick starrte er wie gelähmt vor Panik in Goldbergs Richtung; dann rappelte er sich auf und begann ungeschickt zu laufen, hakenschlagend wie ein Hase.
Goldberg sah ihm nach wie betäubt, das nutzlose Präzisionsgewehr noch immer im Anschlag. Dann fegte er den Sergeanten brutal zur Seite und riß mit der Rechten den Abzug der Vickers durch, ohne zu zielen.
Das Maschinengewehr bäumte sich auf seinem gußeisernen Dreibein auf und begann stotternd zu feuern, ratternd und stoßend wie ein Preßlufthammer. Goldberg kauerte mit zusammengebissenen Zähnen im Schlamm und versuchte, mit beiden Händen die schwere Waffe ruhig zu halten. Jeder einzelne Schuß schien glühende Dolche durch seinen verletzten Arm zu treiben. Der Meldegänger rannte mit eckigen Marionettenbewegungen um sein Leben, während rings um ihn die kleinen Schlammfontänen der Einschläge aufspritzten.
Dann blockierte mit einem häßlichen Knirschen der Mechanismus des Maschinengewehrs. Für Sekundenbruchteile war es totenstill. Goldberg kippte in eine bodenlose, samtene Schwärze, während rings um ihn die Leuchtkugeln emporzischten und die zerschossene Alptraumlandschaft in grellweißes Magnesiumlicht tauchten.
Jemand rüttelte ihn an der Schulter. Goldberg drehte unendlich mühsam den Kopf. Für einen Moment glaubte er, in das vorwurfsvolle Gesicht seines Großvaters zu blicken. Er trug den langen Mantel mit dem gelben Judenstern auf der linken Brustseite, den er auch damals angehabt hatte, als ihn ein namenloser SS-Mann für sein privates Erinnerungsalbum fotografierte. Dann verschwammen die zerfurchten Züge hinter dem goldgefaßten Kneifer und wurden wieder zu der unrasierten, schlammverkrusteten Visage des Postens.
Er konnte nicht länger als ein paar Sekunden bewußtlos gewesen sein. Noch immer hing eine einzelne Leuchtkugel am Himmel, die an ihrem kleinen Fallschirm auf ihn zutrieb und schließlich qualmend erlosch.
„Sir?“ flüsterte der Sergeant. „Sind Sie verwundet, Sir? Sie sind plötzlich …“
„Schon gut“, sagte Goldberg leise. „Schon gut. Es ist nichts passiert. Überhaupt nichts.“
Er kam schwankend auf die Füße und begann unkontrolliert zu lachen. Dann, während er noch an seinen Großvater dachte und an das Mädchen, von dem nur ein paar schäbige Jacketkronen übriggeblieben waren, und an die sechs Millionen Menschen, die von blaßgesichtigen Musterschülern auf die rationellste Art zu Tode gebracht worden waren (nein, werden würden), brach er über dem qualmenden Lauf des nutzlosen Maschinengewehrs zusammen und begann, sich würgend und schluchzend zu übergeben.
Das letzte, was er bewußt wahrnahm, war das schrille Heulen der Mörsergranate. Die Bedienungsmannschaft hatte einen Krieg lang Zeit zum Üben gehabt; das Geschoß lag so präzise im Ziel, als seien sie auf dem Manöverfeld. Die Detonation ließ einen flachen Trichter zurück, der sich ganz allmählich mit Grundwasser füllte, bis er sich in nichts mehr unterschied von hunderttausend anderen Granattrichtern, die einmal die grünen Wiesen Flanderns gewesen waren.
Der schnurrbärtige Gefreite lehnte verstört und schluchzend an der modrigen Bretterverschalung des Unterstands. Sein linkes Augenlid zuckte mit der Regelmäßigkeit eines Metronoms.
„Nun bepiß dich mal nicht“, sagte der Feldwebel gleichgültig und knackte eine Laus zwischen den schwarzgeränderten Fingernägeln. „Du bist schließlich nicht der erste, auf den sie in diesem Scheißkrieg geschossen haben, und außerdem hast du noch nicht mal ’nen Kratzer abbekommen.“
Der bebrillte Telefonist sah grinsend auf. „Als hätte dich die Vorsehung beschützt, Adolf.“
Roger Zelazny
Gehen Sie in den Wahnsinn
GO STARLESS IN THE NIGHT
Dunkelheit und Stille herrschten ringsumher, und nichts, nichts, nichts darin.
Ich?
Der erste Gedanke kam ungerufen, er stieg hoch aus einem See von Schwärze. Ich? Das ist alles.
Ich? dachte er. Dann: Wer? Was …?
Nichts antwortete.
Etwas wie Panik folgte, aber ohne die üblichen physischen Begleiterscheinungen. Als diese Woge vorüber war, lauschte er; angestrengt versuchte er, auch nur das geringste Geräusch aufzufangen. Er bemerkte, daß er schon nicht mehr versuchte, etwas zu sehen.
Es war nichts zu hören. Nicht einmal die leisesten
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