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Kopernikus 5

Kopernikus 5

Titel: Kopernikus 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans J. Alpers
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der Schönheit des feingemaserten Papiers und der Schönheit des simplen, grasumwucherten Pfostens.
    Ein Bauer kam mit einem Trecker vorbeigefahren. Nebenher lief ein kleiner, spitzköpfiger Hund, der uns aus gebührendem Abstand betrachtete und beschnüffelte, zu dem Bauern hochsah und dann, als hätte er von diesem eine beruhigende Zusicherung erhalten, weiterlief. Der Bauer murmelte beim Vorbeifahren etwas wie „II va pleuvoir“ in hartem auvergnatischem Dialekt, grinste uns kurz zu und fuhr weiter.
    Der dachte wohl, wir wollten auf seiner Wiese einen wegstecken – der alte Knatterfrosch. Dabei hing ich voll in den Gräsern und verästelte mein Gemüt in dermaßen feinen Strichelchen, daß ich mit dem Anspitzen kaum noch nachkam, so oft brachen meine Gedankenspitzen ab. Sicher, weil ich sie zu fein zuspitzte.
    Aus dem Tal hallten vereinzelt Geräusche herauf. Tönende Fluchtlinien, die sich verliefen wie die Faserspitzen der Grashalme in einem leicht bewölkten Himmel. Das Kläffen eines Köters.
    Das Klappern metallenen Geräts. Das Klingeln der Glocken einer mittagsmüden Kuhherde. Das Klopfen eines Traktors, mit dem ein Bauer an einem weit entfernten Hang hin und her fuhr, um das Heu zu wenden. Gelegentlich fuhr unten an der Straße ein Auto vorbei.
    Meine Wahrnehmung erschien mir weitaus schärfer als gewöhnlich, wohl wegen der gleichförmigen Landschaft und wohl auch wegen der Anspannung meiner Muskulatur durch die Zeichenversuche. Ich sah aus nächster Nähe die Poren ihrer Nase, sah feinste Härchen auf der Haut, strich ihr zart über die Augenbrauen und über die Lippen. Die öffneten sich, und da ich sie von oben her sah, konnte ich keinen Gesichtsausdruck dieser kleinen Muskelbewegung zuordnen.
    „Was meinst du, wieviel Strahlung mögen wir abbekommen haben?“ sagte sie.
    Strahlung, als bildeten sich in den Poren der Haut unsichtbare molekulare Prozesse heran. Als wären die Sommersprossen auf ihrer Nase das erste zarte Wuchern eines Hautkrebses.
    „Keine Ahnung“, sagte ich.
    Froh sein, dem Inferno jenseits des Rheins entkommen zu sein? Sollten wir das? Und alles, was wir gekannt hatten, was unseren Berufsalltag ausgemacht hatte, war hin, war Wüste, war Strahlung.
    Meine Gedanken zerfaserten sich, so starr schaute ich in das Gewirr der Grashalme. Wenn ich mir jetzt ein Stück von dem Stacheldraht um die Rübe wickle, bin ich ein Jesus. Und wenn sie ihn dann mit herrischer Geste herunterreißt, werde ich wiedergeboren. Dann kommen die Franzosen wieder zu einem Papst. St. Geraud II.
    „Was soll’s, hast du noch ein Stück Käse?“
    Sie schob mir das zerknautschte Päckchen rüber. Ich wickelte den schimmligen Bleu d’ Auvergne aus und mampfte mit Hilfe eines Stückchen Weißbrots einige Bröckchen hinunter. Der schmeckte schon arg verwest.
    Sie legte das Buch zur Seite ins Gras und sah mich an. Dachte, was für ein armes Schwein ist er doch. In ihm brodelt es rum, er traut sich in seiner Panik mit seinen Gedanken nicht an die Realität ran, und wenn er dann doch ranstößt, zuckt er zusammen, mampft unverdrossen und lächerlich naiv anzusehen den verschimmelten Käse rein. Und schon wuchert es wieder in ihm los. Wenn eine Uhr längere Zeit in einem Raum tickt, stellt die Automatik in deinem Hirn das Ticken bald ab. Wenn jenseits des Rheins Präventivschlag und Gegenschlag das Gelände einäschern und du liegst in der Auvergne, dann hörst du das Klappern der Kuhglocken auch nicht mehr. Du bist im Kampaner Tal. Nur keine Gedanken hochkommen lassen. Halte den Augenblick, halte ihn.
    Sie spürte, wie ihr gleich diese blöden Tränen in die Augen treten würden, wie mit Fußtritten hineingestampft, und wandte sich ab, damit er sie nicht sehen sollte. Er hätte dann wieder den Spruch drauf, daß Tränen auch nichts brächten, und würde sich an diesem Gedanken über seine Panik mannhaft hinwegsetzen. Kurzfristig, bevor der Jammer ihn zu ihr trieb wie ein blindes Kaninchen und sie das große Schmusetier abgeben mußte. Sie hatte zwar, als sie die Nachricht in Aurillac mitbekamen, gesagt, daß sie es nicht fassen könne, wie sie dann abends in dem Straßencafé saßen, gegenüber von dem verschlossenen Park, und er sein Guiness, sein teures Guiness schlürfte, sie hatte es aber erfaßt. Das machte sie fertig. Ihn machte, so schien es ihr jedenfalls, vor allem fertig, daß sie wirklich fertig war, fertig mit achtundzwanzig Jahren mehr oder minder geordneten Lebens. Das bezog er auf sich und warf ihr

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