Kopernikus 6
Bänke für die Gläubigen und das große Doppelkreuz, mit dem Leib auf der einen Seite, reinem Gold auf der anderen.
Bensmiller wandte sich der Statue zu. Sie war auf der Erde aus italienischem Marmor gefertigt worden und stand mehr als zwei Meter über dem Boden auf ihrem Podest aus Mondfels. Ungedämpft schienen die Sterne auf sie herab. Er konnte sie nicht anblicken, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Wie viele Liter Treibstoff haben dich aus den Armen der Erde hierhergebracht, gute Frau? fragte Kreski ihn immer und immer wieder, aber Bensmiller hatte die Antwort darauf wohlweislich vergessen. Kreski liebte es, sich über den Reichtum der Kirche auszulassen, der dafür verschleudert wurde, eine Kirche auf dem Mond zu bauen, während im ‚versklavten Osten Millionen verhungerten’.
Doch die Armen werden stets bei euch sein. Das hatte er gesagt, der Christus. Und die Macht der Kirche konnte nicht immer bis hinter die Mauern der Unterdrückung gelangen. Gott würde für Seine Armen Sorge tragen, solange Seine Gesandten nicht zu ihnen vorgelassen wurden. Ja. Der Herr würde sich um sie kümmern. Kreski nickte dann, nickte und ging, immer noch nickend, fort.
In diesen Augenblicken kam sich Pater Bensmiller sehr klein und irgendwie heuchlerisch vor. Kreski war ein riesiger Mann, brilliant und kalt in seinem Wissen um Maschinen und Mondtechnik. Thomas Bensmiller, der dritte Sohn einer Hausfrau aus Indianapolis, dunkel und klein, mäuseschnell und mäusestill in allem, was er tat, war der Herausforderung des Stationskommandanten nicht gewachsen und schreckte vor seinen scharfen Attacken zurück. Was hatte ein Priester auf dem Mond zu suchen, wenn es auf der Erde Arbeit genug gab? Bensmiller blickte sich in der unvollendeten Kirche um und dachte an die Maschinen und die pulsierende Aktivität draußen. Der Mensch griff nach den Sternen. Gottes Verwalter, wie etwa Monsignore Garif, hatten beschlossen, daß das Evangelium folgen sollte. Thomas Bernberger war der erste gewesen. Garif hatte ihm versichert, daß er der erste von vielen sein sollte. Es gab viele Menschen wie Kreski auf dem Mond. Es würde schwierig werden.
Gib uns deine Kraft, Mutter. Die schlimmsten Hindernisse hier sind nicht die Felsen und die Luftleere.
Die Mutter Gottes lächelte auf Pater Bensmiller herab, als wollte sie sagen: Das ist dein Problem, mein Sohn. Ich kümmere mich um meinen Teil, kümmere du dich um deinen. Bensmiller mußte lächeln. Was der Bildhauer ihr doch für ein Gesicht verliehen hatte! Sie hatte das Gesicht eines Kartenhais. Zehn Asse in jedem ihrer weiten Ärmel und hinter jedem As ein Dutzend Geheimnisse.
Bensmillers Muskeln verspannten sich. Die Muttergottes hatte genickt. Dann wurde ihm klar, daß sich der Boden unter seinen Füßen im gleichen Augenblick abrupt bewegt hatte. Es war ein kurzes Zucken gewesen, plötzlich, vereinzelt, mächtig. In diesem Gebiet gab es nur selten Mondbeben. Mondbeben waren jedoch langsame, träge Krustenverschiebungen, die kaum einmal gut untermauerte Gebäude beeinträchtigten. Eine Explosion! Aber wo blieb der Knall?
Bensmiller blickte zur Erde empor. Der Mensch hatte die Geräusche hinter sich gelassen. Er eilte aus der halbvollendeten Kirche. Draußen an der dicken Stahlwand hing eine Kupferplatte, in die die Worte Unsere Liebe Frau vom Unendlichen Himmel eingraviert waren.
Gott habe Erbarmen mit ihnen, betete er. Die Unterdrucksirenen hatten bereits mit ihrem alptraumhaften Geheul begonnen.
Wie ein wütender Raubvogel schwebte Kreski über Schleuse Sechs. Die Monitorschirme der Schleuse zeigten Männer, die draußen umherstolzierten,
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