Kopernikus 6
Keine Stunde zuvor hatte Monsignore Garif über das S-Band aus Houston mit ihm gesprochen. Wie schon zweimal zuvor in der Vergangenheit gab es Nachrichten über die steigende Zahl amerikanischer Kirchen, die für immer ihre Pforten schlossen. Nicht aus Geldmangel – der Ökumenische Rat garantierte jedem Pfarrer sein Auskommen und bemühte sich darum, die Gebäude instand zu halten. Aber es schien sinnlos, das Evangelium vor leeren Bänken zu predigen.
Sie haben ihren Horizont verloren. Sie können den Himmel nicht vom Beton unterscheiden.
Synthetische Nahrung hatte dazu geführt, daß selbst die Allerärmsten auf dem Vereinigten Kontinent gesättigt werden konnten. Körperliches Leiden durch Krankheit und Hunger waren selten geworden. Wo waren denn dann die Massen, die hätten danksagen sollen?
Die Erde schwebte stets über der weißen Schulter Marias. Hilf ihnen emporzublicken, Mutter.
Er spürte ein erneutes Vibrieren des Bodens. Diesmal war es weniger heftig als zuvor, und seine Frequenz schwankte. Kein Kranschnabel zeigte sich hinter den Mauern. Bensmiller erhob sich, neugierig geworden, und kletterte die ersten vier Sprossen einer Metalleiter empor, die von den Elektrikern zurückgelassen worden war.
Außerhalb des Strahlungsradius der riesigen blauweißen Nachtlampen der Station war die Landschaft schattig und unwirklich. Auf der Schotterstraße vor der Kuppel wälzte sich ein zehnrädriger Tieflader voran. Sein kugeligen Reifen wurden vom Gewicht seiner blockförmigen Ladung fast plattgedrückt. Noch mehr Schrott für die Baustelle. Bensmiller wußte nicht genau, was dort gebaut wurde. Am Ende der provisorischen Straße befand sich die Baustelle, in der Nähe von Komplex A, der aus glitzernden Gewächshauskuppeln bestand. Jede dieser Kuppeln war ein warmer, gelber Sternhaufen, jeder Stern selbst eine künstliche Sonne über einem Anbauabschnitt. Das Projekt hatte irgend etwas mit Energieerzeugung für die Gewächshauskuppeln zu tun. Kreski, der Stationskommandant, verlangte ständig nach Expansion, nach Neubauten, mit dem noch weit entfernten Endziel einer vollkommenen Selbstversorgung der Station Grissom. Jede neue Kuppel, jeder neue Korridor, der sich durch den Staub von Sinus Iridum schlängelte, kam dem Abschneiden der Verbindungen zu dem blauen Planeten, der ständig am Südhimmel zu sehen war, näher.
Zwei käferähnliche Laster folgten dem Tieflader zur Baustelle. Bensmiller schüttelte den Kopf und kletterte wieder hinunter. Unten angekommen, klopfte er sich den Mörtel von den Knien. Noch mehr Maschinen. Auf Rädern, auf Gleitrollen, unter Kuppeln und unter dem Mondboden, überall wucherten sie. Und doch war das Stationspersonal in vier Monaten um ganze sieben neue Mitarbeiter erweitert worden. Der Priester fragte sich, warum sie die Menschen nicht einfach nach Hause schickten und die Maschinen sich über die Mondoberfläche ausbreiten ließen.
Pater Thomas Bensmiller nahm sein Schreibbrett auf und fuhr mit seinem Tätigkeitsbericht über den Bau der Mondkirche fort. Der Hauptaltar war fast beendet. Die große Platte aus Ahornholz, die erste ihrer Art, die jemals über die qualmigen Nebel der Erde gestiegen war, würde schon bald die Darstellung des Abendmahls zeigen. Sie war bereits an ihrer grob aus dem Mondgestein gehauenen Säule befestigt worden und würde noch diesen Monat geweiht werden. Rechts vom Altar stand die Kanzel aus holzähnlichem Kunststoff. Bensmiller erwähnte alles und gab auf den Mehrfachformularen seiner Zufriedenheit Ausdruck.
Nur weniges blieb noch zu tun: anstreichen, Elektroarbeiten, die
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