Kopernikus 6
ihre weiße Schulter hatte man ein Bündel elektrischer Kabel geworfen. An ihrer Krone war ein photoelektrischer Sensor befestigt worden.
Sonnenlicht, Erdenglimmer. Das Leben braucht sein Licht.
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes …“
Zwischen den schattenüberzogenen Kisten und den Reihen aufgetürmter Fässer drängten sich sieben Menschenwesen um eine Platte aus Kunststoffresten. Man hatte ein Tuch aus feinem Leinen darüber gelegt. Auf der einen Seite des Tuchs stand der goldene Kelch, auf der anderen ein kleiner Teller mit dunkelgrünen Keksen.
Maria streckte ihre Arme aus. In jeder Hand hielt sie, mit Eisenbändern befestigt, ein Bündel Natrium-Quecksilberlampen. An Stengeln wuchsen überall weitere künstliche Sonnen. Die Kuppel vibrierte vor Licht.
Ich sah eine Frau, mit der Sonne bedeckt und den Mond zu ihren Füßen, und auf ihrem Haupt war eine Krone aus zwölf Sternen.
Zwölf Sterne. Zwölfhundert Sterne. Zwölftausend Sterne.
Zwölf Billionen Sterne.
Mutler, es sind Deine. Wir werden sie zu Deinen machen.
„Herr, erbarme Dich unser. Christus, erbarme Dich unser. Herr, erbarme Dich unser.“
Sieben Menschen hielten inne und erinnerten sich an ihre Fehler. Alle acht Sekunden atmete jeder von ihnen ein. Das Leben arbeitete hier, in ihren Lungen, in ihrem Blut, in jeder Zelle. Sauerstoff zu Stickstoff. Energie. Leben. Herr, vergib uns.
Die Maschinen summten vor eigenem Leben. Um Marias Schultern schlängelten sich Leitungen, die unter eigenen Zielen bebten. Ihre eigene Sprache sprachen. Gasmoleküle schwebten über winzigen grünen Stengeln. Vor einem Augenblick war es noch ein Atmen. Das Atmen eines Priesters, eines Mannes, einer Frau, eines Katholiken und Protestanten und Atheisten. Das Atmen von sechs Hunden und dreihundert weißen Ratten. Das letzte Atmen eines Menschenwesens. Eines Tages der erste Atemzug eines mondgeborenen Säuglings.
Leben von Leben, Atem von Atem. Der Tod ist nur der Vermittler. Maria öffnet die Arme, um die winzigen grünen Felder darin einzuschließen, die unter vierzig künstlichen Sonnen auf chemischen Bädern gedeihen. Winzige grüne Schoten, die die verbrauchte Luft mit sonnenbeschienenem Brecheisen auseinandernahmen, ihren Atem zurückgaben, ihre Nahrung spendeten. Wieder gelangt die neue Luft in die Leitungen.
Der Kreis bleibt ungebrochen.
Wir sitzen alle im selben Boot.
„Dies ist mein Leib …“
Maria öffnet die Arme, um das Leben zu umarmen. Alles Leben. Grünes Leben, tierisches Leben, Leben, das auf zwei Beinen geht und auf einem Bein. Sie umarmt das falsche Leben, die summenden Schaltungen und emporjagenden Raketen.
„Unser tägliches Brot gib uns heute …“
Denn diese Dinge sind notwendig. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht seine Ökosphäre.
„Ziehet hin, die Messe ist beendet.“ Unsere Tage beginnen, beginnen erst.
Danke, Mutter. Hilf mir, diese Dinge zu verstehen.
Auf ihrem Haupt eine Krone aus zwölf Billionen Sternen.
George Guthridge Das Stille
THE QUIET
Kuara, mein Sohn, die Weißen haben den Mond gestohlen.
Der Himmel vor dem Fenster ist schwarz. Zwischen den Sternen hängt eine blauweiße Scheibe. Das ist die Erde, sagt Doktor Stefanko. Ich klage und trommle mit den Fäusten. Ich bin mit Riemen an ein Bett gefesselt. Doktor Stefanko drückt mir die Schultern herunter und betupft meinen Arm. „Da du keine Ruhe halten willst, werde ich dir noch eine Spritze geben müssen“, sagt sie lächelnd. Ich liege still.
Das ist nicht die Erde. Die Erde ist braun. Die Erde ist die Kalahari.
„Du bist auf dem Mond“, sagt Doktor Stefanko. Das erzählt sie mir schon zum
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