Kopernikus 6
warum ich ihn früher so gehaßt hatte.
Dasselbe fragte ich mich während der heißen Jahreszeit Kuma, als wir nahe am Verhungern waren. Tagsüber zog ich meinen Kaross aus, grub eine flache Grube im spärlichen Schatten eines Orogu-Busches, urinierte in den Sand, deckte mich mit Sand zu und legte mir ein Blatt über den Kopf. Wir drei – Tuka, Kuara und ich – lagen wie Tote Seite an Seite. „Mein Herz ist traurig vor Hunger“, sang ich den ganzen Tag vor mich hin. „Krank und langsam wie ein Greis.“ Dann dachte ich an alles Schlechte. Wie meine Eltern mich vor meiner Zeit mit Tuka verheiratet hatten, weil er meiner Mutter als Brautpreis einen neuen Kaross gebracht hatte. Wie Tuka vor meiner Zeit mit mir das gemacht hatte, was Verheiratete tun. Immer vor meiner Zeit! Manchmal wünschte ich mir, ein Paouw würde herabstoßen und seinen Penis für eine fette Raupe halten.
Dann fing Tuka eines Nachts einen Honigdachs in der Schlinge. Ein Dachs zur Kuma-Zeit! Alles war aufgeregt. Tuka sagte: „Gestern, als wir schliefen, da habe ich dem Land erzählt, daß meine U Hunger leidet und ich für sie und Kuara Fleisch haben muß.“ Der Dachs war sehr zart. Gai aß seinen Anteil und bettelte um mehr, obwohl er noch nie Fleisch ins Lager gebracht hatte. Als das Fleisch aufgegessen war, rösteten wir Ga-Wurzeln und sangen und tanzten, während Tuka auf der Guaschi spielte. Ich tanzte voll Stolz. Nicht für Tuka, sondern für mich selbst. Num löste sich aus meiner Magengrube und kroch siedendheiß mein Rückgrat hoch. Ich hatte Angst, denn wenn das Num meinen Schädel erreicht, muß ich Kia machen. Dann sehe ich Gespenster, die Menschen umbringen, und ich rieche verwesende Leichen .
Tuka nahm meinen Kopf zwischen seine Hände. „Du darfst nicht Kia machen“, sagte er. „Nicht jetzt. Die Visionen würden deinen Körper überanstrengen.“ Bei anderen Leuten bringt Kia Heilung, für sie selbst, für andere; mir bringt es nur Schmerzen.
Tuka hielt mich neben dem Feuer fest und streichelte mich, und das Num legte sich. „Wenn ich tagsüber im Sand liege, träume ich, daß ich auf einen großen Baobab geklettert bin“, sagte er. „Ich schaue vom Wipfel herunter, und überall im Land grasen die Tiere. Giraffen und Gnus und Kudus. ‚Du mußt diese Tiere erjagen und sie zu U und Kuara heimbringen, bevor die Weißen sie töten’, sagt mein Traum.“ Dann fragte er: „Woran denkst du, wenn du dort liegst, U?“
Ich antwortete nicht. Ich hatte Angst, es ihm zu sagen; er sollte nicht zornig oder traurig werden, nachdem er sich so über seinen Honigdachs gefreut hatte. Er lächelte. In seinen feuchten Augen glänzte der Feuerschein. Vielleicht glaubte er, das Num fessele meine Zunge.
Am nächsten Tag kam das Stille. Ich lag im Sand und spürte das Num in meinem Bauch pulsieren. Ich kämpfte gegen die Angst an, die es immer mit sich brachte. Ich rief nicht nach Tuka. Das Pulsieren wurde stärker. Ich begann zu zittern. Schweiß lief mir über das Gesicht. Das Num siedete in mir. Es kroch mein Rückgrat hoch und auf meine Kehle zu. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich die Adern des Blattes an, sah aber nur Grauen. Ich spürte, wie ich gleichzeitig erstarrte und bebte. In meinem Kopf hämmerte es; es war so groß wie eine Ga-Wurzel. Ich hörte, wie mein Mund schmatzende Geräusche von sich gab, wie Kuara sie früher an meiner Brust gemacht hatte. In mir wurde der Druck immer stärker und stärker.
Und war dann plötzlich verschwunden. Er wühlte sich in die Erde und nahm meine Tagträume mit. Ich sank tiefer und tiefer in den Sand. Ich kam vorbei an Ubbee-Wurzeln und den ausgebleichten, vergessenen Gebeinen längst toter Tiere. Ich erreichte ein Wasserloch tief unter dem Erdboden. Tuka war im Wasser. Kuara auch. Er sah jünger aus, gerade im Krabbelalter. Tuka lächelte
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