Kopernikus 6
haben.
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Max’ letzte Tage begannen in Moses Park an der neuen Triborough Flugbahn. Wir berichteten gerade über den ersten der Genspleiß-Krawalle, per Direktlaser aus unserer Panzerkabine in der Südbronx. Kann man das Standbild vergessen, das die Nachrichtenbänder ausstrahlten, während die Story ablief? D EMONSTRANTEN R UFEN „V ERDAMMTER M ORD “ U ND P ROTESTIEREN G EGEN O PTIMALGEBURTSGESETZ . Es hat den Standphoto-Pulitzer für 2021 gewonnen, mit dem Untertitel: Eine verzweifelte Mutter schleudert ihr gengeschädigtes Kind den Repräsentanten der Bundesgesundheitsbehörde entgegen, die ihr keine Unterstützung gewährten. Nach dem neuen Optimalgeburtsgesetz gibt es keine Bundesmittel für das Genspleißen von Familien, die Empfänger Nationaler Wohlfahrtsmarken sind.
Während das Baby noch flog, wartete Max ab, einen Herzschlag, einen weiteren, und schätzte eure Stimmung ein. Die Schwebelinse folgte dem gequälten Kind. Ich gab euch ein Bild von einer erstarrten Mutter, ihr eigenes Kind festhaltend und wie gelähmt von dem, was soeben geschehen war. Und Max fühlte euren Haß. Ich glaube, er wollte irgendwie den Krawall dämpfen. Der Vorsager schrieb Skriptzeilen, falls er welche haben wollte: „Entsetzlich“, konnte er sagen, „aber wer kann es ihr verübeln? Giftige Abfälle, die vor fünfzig Jahren vergraben wurden, haben ihren Sohn verkrüppelt. Die Bundesrepräsentanten nennen sie eine Wohlfahrtsschlampe und versagen ihr die Unterstützung.“
Aber wen habt ihr denn gehaßt? Nicht die Bundesbeamten oder die Firmen, die den Dreck vergraben hatten. Sie waren unerreichbar, also seid ihr umgeschwenkt. Die Wohlfahrtsschlampe habt ihr gehaßt. Statt dessen las Max den Alternativtext: „Wie viel, wie lange, wie viele sollen wir noch bezahlen?“
Auf das Kinn der Mutter malte ich Speichel. Ich gab ihr ein Gesicht von Ausschweifung und Sünde. Ich spürte eure Stimmung und machte Max für die zwei Megadollar, die mir die CBA im Jahr bezahlte, rechtschaffen.
„Eine Schlampe“, sagte Max. Und ihr habt ihm zugestimmt. Max nahm eure Ermunterung auf und zog euch höher. „Ein Ungeheuer“, sagte Max, „ein Wohlfahrtsparasit.“ Sein Gesicht wurde rot, so daß ich sein chromatisches Gewicht zweimal in zehn Sekunden verändern mußte.
Durch die Schwebelinsen saht ihr, wie die Bullen ihre Neuropeitschen schwangen. Ihr habt Max gefühlt, wie er langsam, erstickt atmete, und ihr fuhrt die Röhre, als würdet ihr auf dem Buckel eines sich aufbäumenden Synthopferds sitzen. Zwei und dreiviertel Topzeitminuten lang war ich zittrig. Ich kämpfte, während der von Max angeheizte Krawall anschwoll. Und als die Nielsen-Zahlen hochschäumten und als Morrie Bloom seinen Stolz, seine Freude über das Interphon durchsummte, sah ich, wie sich Max außer Kontrolle lallte.
Alicia war aufgestanden, ihre Hand lag auf meinem Arm; Max’ ungeschminktes Gesicht wurde schlaff. Ich sagte: „Morrie, leck mich am Arsch, hier hört die Reiße auf!“ Und ich schaltete das Gefühlsfeld auf Null und wischte Max Todd von den NatSat-Nachrichten weg.
Hinter Manhattan ging eine verquollene Sonne unter und färbte den zertrampelten Schnee in Moses Park blutig. NatSat-Nachrichten übertrugen die Szene mit Merilee Dorn in der Zugeisenkabine. Wandgroß und körnig wurde die Nachrichtensendung am Bildschirm des Büros abgespielt. Max saß dort, die Hände zwischen den Knien herabhängend. Seine Augen waren halb geschlossen und schläfrig.
Morrie Bloom fauchte mich an: „Du hattest kein Recht dazu, keinerlei Befugnis! Du hattest keine Genehmigung, ihn mitten in einer Sendung auszuwischen!“ Wie ein fetter
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