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Kopernikus 6

Kopernikus 6

Titel: Kopernikus 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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lange Zeit, es zu lernen.
    Sie machen mich nachdenklich, wie Sie so dasitzen, unschuldig wie ein Ei und zweimal so empfindlich; ja, Sie bringen mich unbestreitbar zum Nachdenken, und ich glaube, ich werde an ein paar Dinge denken müssen, an die ich immer nur mit Bedauern gedacht habe, nur um nicht rührselig zu werden. Verflucht, mein Junge, Sie machen mich wirklich nachdenklich. Das Leben ist sonderbar – grün, wie Sie sind, haben Sie diesen Gedanken wahrscheinlich auch schon ein dutzendmal gehabt. Wahrscheinlich haben Sie ihn heute morgen gehabt, als Sie aus Ihrem duftenden Bett der Sonne entgegentaumelten. Nun, ich habe Ihnen das Vierfache an Jahren und ein mächtiges Bündel an Erfahrungen voraus, und immer noch fällt mir nichts Besseres ein, um die Welt zusammenzufassen: Das Leben ist sonderbar. Das haben schon andere gesagt, ja. Aber denken Sie nur, mein Junge, wie sonderbar: Wir beide reden hier, Sie kommen, ich gehe; ich weiß, wohin Sie gehen müssen, Sie vermuten zu wissen, woher ich komme, und beide haben wir das gleiche Ziel. Sonderbar, sehr sonderbar. Verdammt, Sie sind schon tot, wenn Sie das Sonderbare daran nicht sehen, wenn Sie das Poetische daran nicht riechen: es stinkt danach wie nach Blut. Und Blut habe ich gerochen, mein Böckchen. Es hat ein sehr deutliches Aroma. Man erkennt es, wenn man es riecht. Sie sind auf dem Weg zum Blut; zu Blut und Leidenschaft und großen Taten und all dem Zeug und vielleicht auch zu ein wenig Verständnis, wenn Sie Glück haben und Augen, um zu sehen. Ich selber, ich bin nirgendwohin unterwegs, buchstäblich. Ich bin hier auf Kos zur Ruhe gekommen, und während die Rote Lady ihr Farbennetz über den Himmel spinnt, sitze ich hier und webe mein eigenes Netz aus Worten und Träumen und anderem Spinnenzeug …
    Was? Ja, ich rede zuviel. Alte Männer schwatzen gern, und die Philosophie ist wie ein Kissen für die alten Knochen. Aber schließlich ist es mein Beruf, und ich habe Ihnen eine Geschichte versprochen. Was mit meinem Bein passiert ist? Das ist eine blutige Geschichte, aber ich sagte ja, daß Blut vor Ihnen liegt. Ich kenne das Zeichen. Ich will es Ihnen erzählen: Vielleicht wird es Ihnen helfen zu verstehen, wenn Sie bei dem engen Loch angekommen sind. Vielleicht wird es Ihnen sogar helfen zu denken, obwohl dies die furchtbarste Last ist, die man einem Manne wünschen kann. Es ist üblich, daß man meine Karte abzeichnet, bevor ich anfange, damit Sie mir hinterher nicht davonlaufen, ohne zu bezahlen. Danke sehr, junger Herr. Hüten Sie sich vor einigen dieser Bettler, mein Böckchen; die haben eine Kreditrechnung bei Central, wie wir sie beide niemals zusammenbringen werden. Sie ziehen aus der Armut einen sauberen Profit. Ich bin ein ehrlicher Armer, bedauerlicherweise, lebe hauptsächlich von der Unterstützung, wenn Sie das Leben nennen wollen … Ja, ich weiß. Das Bein.
    Dafür müssen wir bis zur Neuordnung zurückgehen, zurück um mehr als ein halbes Jahrhundert und einen halben Sektor entfernt von hier, auf Welt. Das Ganze geschah, bevor Welt ein Mitglied des Commonwealth wurde. Darum ging es genaugenommen bei der Neuordnung: Die Quästoren stürzten das alte Kombinat und entschieden sich für die Verschmelzung und zwangen Welt zum Eintritt in das Commonwealth. Dort und zu dieser Zeit beginnt die Geschichte.
    Sie beginnt mit Warten.
    Viele Dinge beginnen so, mit Warten. Und wenn es aller Wahrscheinlichkeit nach der Tod ist, worauf Sie warten, und Sie liegen da und lieben das Leben und bemerken plötzlich, wie hübsch alles ist, und lauschen den steinernen Hufen der Dunkelheit, die sich trappelnd nähern, und Sie fühlen, wie eisenbeschlagene Stiefel gnadenlose Funken aus der Oberfläche Ihres Geistes schlagen, und Sie wissen, daß gleich der Tod vom Himmel fallen wird und es keine Möglichkeit gibt, sich beiseite zu winden – dann kann Ihnen das Warten ganz schön lang werden. Minuten werden zu Stunden, und Stunden werden zu unvorstellbarem Grauen. Addieren Sie genügend Grauen, berechnen Sie die Summe der schuppigen Rachen, und Sie haben die anderthalb Tage, die ich in einem Tal in den Mönchsbergen auf Welt verbrachte. Beinahe wären es die letzten anderthalb Tage gewesen, die ich überhaupt irgendwo verbrachte.
    Es war nur wenige Stunden nach D’kotta. Überall herrschte Chaos, niemand wußte genau, was geschah, die gesamte Kommunikation war zusammengebrochen. Ich war damals selbst ein junger Hüpfer, ich arbeitete mit den Quästoren im Feld,

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