Kopernikus 6
ein gehetzter Krimineller. Niemand wußte, was das Kombinat als nächstes tun würde, wir wußten nicht, was wir als nächstes tun würden, Trupps hetzten wild und planlos von einem Ort zum anderen – Panik und Aufruhr auf dem ganzen Planeten, selbst in den Kontrollierten Bezirken.
Und D’kotta in den Mönchsbergen war ein siebzig Meilen langer Streifen rauchenden Wahnsinns unter brodelnden Schirmen von Qualm, die die Asche vom Boden in die Stratosphäre und wieder herunterwirbelten. Des Nachts pulsierte es von geschmolzenem Schaum, häßlich wie eine aufgeschnittene Blase, und in dem Licht waren die Wolkenbänke über den ganzen Horizont hinweg Hunderte von Meilen sichtbar. Dieses widerliche Leuchten löste schließlich sogar unter den Zombies in den Bezirken eine Panik aus, wahrscheinlich die erste starke Emotion ihres Lebens.
Es war nicht leicht gewesen, die Ergebnisse der Schlacht zusammenzufassen. Wir glaubten, daß wir im Vorteil waren, daß das Kombinat kurz vor dem Zusammenbruch stand, aber sicher war sich keiner von uns. Falls sie nicht so dicht davorstanden, in die Knie zu gehen, wie wir dachten, dann war dies wahrscheinlich unser Ende. Die Quästoren hatten den größten Teil ihrer gehorteten Kräfte in D’kotta erschöpft, und wir konnten dem Kombinat mit Sicherheit nicht noch härter zusetzen. Wenn sie diesen Schlag verkrafteten, dann würden sie uns aushungern können.
Persönlich sah ich eigentlich nicht, wie irgend jemand das verkraften sollte. Ich hatte alles mit angesehen, und es hatte mich gewaltig erschüttert. Es gibt den alten Ausdruck „die Angst vor Gott in jemandem wecken“. Das war es, was D’kotta bei mir getan hatte. Einen Gott gab es nicht mehr, aber ich hatte gesehen, wie der Himmel Feuer erbrach und die Erde weit auseinanderriß, und als Ersatz war das eindrucksvoll genug gewesen. Wenige Menschen haben jemals begriffen, wie dicht das Kombinat und die Quästoren davorgestanden hatten, Welt gemeinsam zu vernichten, damals in D’kotta.
In jener Nacht kauerten wir – der Trupp und ich – auf den hohen Felsbastionen des höchsten der Mönchsberge, weit genug entfernt, wie wir hofften, von allem, was auf uns herabfallen konnte. Zwischen uns und der rollenden Savanne, wo noch vor wenigen Minuten die Stadt D’kotta gelegen hatte, erstreckten sich zwanzig Meilen flaches, knorriges Vorgebirge, aber wir lagen auf dem Bauch und fühlten, wie der Boden sich hob und zitterte wie ein krankes Tier, und der Fels war heiß, wenn man ihn berührte, als hätte er Fieber.
Wir hätten uns noch weiter zurückziehen können, hätten uns weiter zurückziehen sollen, aber wir mußten es uns ansehen. Das war beschlossen worden, ohne daß jemand etwas gesagt hätte und ohne daß es in Frage gestellt worden wäre. Es war unmöglich, es sich nicht anzusehen. Keiner von uns hatte auch nur im Traum daran gedacht, der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Wenn die Realität von innen nach außen gekrempelt wird wie eine schmutzige Socke, dann sehen Sie zu, oder Sie sind weniger als menschlich. Also schauten wir uns alles an, von Anfang bis Ende: zwei Stunden, die zu einer Sekunde wurden, Ewigkeiten lang. Wie ein Photo der Zeit, verdreht zu einem Schrei – und der Schrei hallte endlos weiter, und doch erlebte man ihn ohne jede Dauer.
Wir redeten nicht. Wir konnten nicht reden – die Moleküle der Luft kreischten zu laut, und das tiefe Brüllen der Explosionen war wie ein fortwährender Trommelwirbel – aber wir hätten auch dann nicht geredet, wenn es uns möglich gewesen wäre. In der Gegenwart eines wütenden Gottes redet man nicht. Manchmal sahen wir einander kurz an. Unsere Gesichter waren alle fast identisch: aschgrau, wächsern, mit glasigen Augen, ausdruckslos und verloren wie bleiches Treibholz, das die Flut auf den Strand gespült hat. Wir waren durch die Skala der Ausdrucksmöglichkeiten bis in die Extreme getrieben worden: rictus, die Gesichter so verzerrt und angespannt, daß sie schmerzten, und dann der quietus des Schockzustandes, die Muskeln so schlaff und kraftlos, daß sie nicht mehr reagierten. Wir sahen einander nur eine Sekunde lang an, faßten uns kaum wirklich ins Auge, beinahe ohne etwas wahrzunehmen, und gleich wurden unsere Blicke wieder wie durch einen Magneten auf das Feuer gezogen.
Zu Anfang hatten wir uns aneinandergeklammert, aber als die Schlacht ihren Fortgang nahm, rückten wir langsam auseinander und verkrochen uns in individuelle Pein. Das Ding war so groß, daß menschliche
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