Kopernikus 6
Sie sehen aus, als ob Sie sich gerade in eine Pißpfütze gesetzt hätten und sich jetzt überlegten, welche Reaktion in gesellschaftlicher Hinsicht am schicklichsten wäre. Heuchelei ist eine Kunst, mein Junge. Mit den Jahren werden Sie besser darin werden. Nun sind Sie verwirrt, junger Herr, weil Sie sich von einem alten Säufer herumschubsen lassen, und jetzt macht er sich auch noch lustig über Sie. Aber Ihr Gesichtsausdruck ist auch wirklich zum Grinsen; wenn Sie sich sehen könnten, würden Sie selber lachen. In ein paar Jahren werden Sie diesen Ausdruck selbst sehen, im Gesicht eines anderen jungen Mannes – und das ist der einzige Spiegel, der ihn wirklich deutlich zeigt. Und bis dahin sind Sie dann ein alter Säufer, und Sie werden Lachen und die Würde dieses jungen Bocks beleidigen, aber Sie werden mehr über das Spiegelbild des Mannes lachen, der Sie einmal waren, als über diesen jungen Hengst an sich. Und wahrscheinlich werden Sie dem Böckchen erzählen müssen, was ich Ihnen gerade erzählt habe, um ihn zu besänftigen, und auch darin liegt ein Lacher. Lauschen Sie auf das Echo von einer Million und einem Lacher hinter Ihnen. Ich höre jetzt eine Million.
Wie ich mit dieser Dreistigkeit durchkomme? Zum einen: Was habe ich schon zu verlieren? Das gibt Ihnen eine gewisse Perspektive. Außerdem bin ich trotz allem gesellschaftskundlich ganz lehrreich – ich habe so meinen Wert als Gegenstandslektion. Wie kommt es zum Beispiel, daß ein arroganter junger Aristo wie Sie hier sitzt und sich mein Geschwätz anhört? Versuchen Sie gar nicht erst, das zu beantworten; ich wußte es in dem Augenblick, als Sie hier pfeifend die Straße entlangkamen, voller Dampf und mit forschem Schritt. Niemand steht mehr so früh am Morgen auf, es sei denn, er ist so alt wie ich und hat etwas gegen Schlaf, diesen Trockenkurs zum Tod – oder er war überhaupt nicht im Bett. Heute morgen ist die Welt Ihr Freund, ein Spielzeug, das Sie untersuchen, ein Geschmack in Ihrem Mund, den Sie schmecken, und mit Ihrem Wohlwollen bekleckern Sie den degenerierten Alten, den Sie auf der Straße treffen. Sie sind sogar glücklich genug, um mir zuzuhören, obwohl Sie das lächerlich finden, und da sitzen Sie nun und fühlen eine leutselige Überlegenheit. Und ich sitze hier und fühle eine leutselige Überlegenheit. Ein hübsches Arrangement, und alle sind zufrieden. Nun also, ein Morgen gibt Ihnen solche Gefühle. Vor allem, wenn Sie gerade eine Nacht in den Towers hinter sich haben, den Moschusduft von Lady Ni noch warm auf Ihrer Haut.
Er errötet – mein Böckchen, Sie sind tatsächlich frischgeschlüpft. Woher ich das weiß? Junge, es würde Sie überraschen, was ich alles weiß; gelegentlich erschreckt es mich selber, und ich arbeite schon länger daran, es zu katalogisieren. Außerdem, Rückblick ist ein angenehmer Ersatz für Allmächtigkeit. Und noch bin ich nicht blind. Sie haben das unverwechselbare Aussehen eines Frischlings, der soeben herausgefunden hat, daß das Ding nicht nur zum Pinkeln taugt. Eine unglaubliche Offenbarung, wie ich mich erinnere, deren strahlende Bedeutung mit den Jahren natürlich ein wenig verblaßt, aber doch nicht allzu sehr, denke ich; bis man dann am Rande der letzten Kälte anlangt, wo man aufhört, sich über die Identität der Wärme Gedanken zu machen oder zu verlangen, daß es seinen Tribut an Vergnügen entrichtet. Jede Hand aus Lehm ist da recht, solange das Blut eben noch stark genug strömt, um den Unterschied auszumachen. Nur die Wärme unterscheidet Sie vom Staub des Friedhofs. Aber der Morgen ist nichts für den Friedhof, wenn es auch umgekehrt schon eher zusammenpaßt. Wußten Sie, daß man das Ding früher auch dazu benutzt hat, Babys zu machen? Tatsache, obwohl es heute nur noch wenige wissen. Das Biest ist vielseitig verwendbar. Du meine Güte – Böckchen, Frischling, junger Hurenherr –, jetzt seien Sie doch nicht so verdammt erstaunt. Die Menschen haben gegessen, geschlafen und gebumst, bevor Sie auf die Welt kamen, einige jedenfalls, und ein paar werden wahrscheinlich sogar den Mut finden, es weiterhin zu tun, wenn Sie schon tot sind. Sie brauchen es nicht geheimzuhalten. Man hat in dieser Gegend schon früher ein oder zweimal darüber gesprochen. Sie haben nicht als erster herausgefunden, wie man das Biest dazu bringt, sein Kunststückchen zu zeigen, obwohl ich weiß, daß Sie mir das nicht glauben. Was mich selbst betrifft, ich glaube es auch nicht, und ich hatte verdammt
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