Kopernikus 6
Wärme nichts bedeutete, es war so schrecklich, daß der Instinkt, der uns schutzsuchend zusammengetrieben hatte, sich ins Gegenteil verkehrte und daß die Gegenwart der anderen nur die Erkenntnis der eigenen, absoluten Nacktheit noch intensiver werden ließ. Vorher hatten wir einen Streuschirm aufgebaut, um den schlimmsten Teil der harten Strahlung auszufiltern – Gam mastrahlen und intensive Infrarot- und Ultraviolettstrahlung – und auf diese Weise Hitze, Erschütterung und Lärm wenigstens teilweise abzuwehren. Wir glaubten eine faire Chance zum Überleben zu haben, aber weglaufen konnten wir nicht. Wir waren wie gebannt durch die Schönheit des Grauens/das Grauen der Schönheit, als hätte man uns einen Pfahl durch das Rückgrat getrieben und uns am Felsboden festgenagelt .
Und jenseits des Vorgebirges tanzte Gott in seinem Zorn, und seine Füße zerstampften den Boden zu Asche.
Wie es war?
Auf Kos gibt es noch Ozeane und Stürme. Haben Sie schon einmal gesehen, wenn ein wütender Wind die See peitscht? Der Sturm läßt das Wasser zu Schaum aufbrodeln, er schlägt es, bis es weiß ist, bis es aussieht wie ein Meer von zerfetzter Spitze bis zum Horizont, wie wirbelnde Strudel von Milch, bis der letzte Rest von Blau vernichtet ist. So sah das Land aus, in D’kotta. Die Hügel bewegten sich. Die Quästoren hatten einen Diskontinuitäts-Projektor dort, und unter seinen Peitschenhieben rührte sich die Erde wie träger Teig unter dem Löffel des Bäckers; sie bewegte sich, erschauerte, stöhnte, riß auf und zerbrach. Felder hoben sich zu Bergen, und andere stürzten in tiefe Canons.
Stellen Sie sich einen Riesen vor, der knapp unter der Erdoberfläche schläft und Träume aus Fels und Kristall träumt. Stellen Sie sich vor, wie er sich unruhig bewegt, wie ein Alpdruck den trägen Rhythmus seiner Träume durchbricht, so daß er sich stöhnend hin und her wirft und das Unbehagen in vibrierenden Wellen über seinen meilenlangen Körper zieht. Stellen Sie sich vor, wie es ihn plötzlich in ein angsterfülltes Bewußtsein schleudert, wie er unvermittelt hochfährt, unter dem tosenden Gebrüll von zehn Millionen brennenden Kälbern: eine dampfende Klaue aus Fels und schwarzer Erde, die den Himmel aufreißt. Und jetzt, rasch, stellen Sie sich vor, wie das angrenzende Land in die Tiefe stürzt, hinabsinkt wie ein Stein in einem Teich, wie der Leib der Erde Hunderte von Metern weit außreißt und alles verschlingt und zu Staub zermahlt. Und dann, fast zu schnell für das Auge, stellen Sie sich vor, wie Berg und Krater sich umkehren, wie der Berg mit einemmal zusammenstürzt und den Fuß der alten Mönchsberge mit einer Flutwelle von Gestein umspült, um dann in einem tiefen Schlund zu versinken, und wie sich zur selben Zeit die niederbrechende Erde am Grunde des anderen Kraters umkehrt und eruptiv in die Höhe jagt, wie eine bebende Faust aus Geröll. Und es kehrt sich wieder um und immer wieder, als sähe man ständig denselben Filmstreifen, der ununterbrochen vor und zurück läuft. Und das multiplizieren Sie mit einer Million und breiten es aus, bis alles, was Sie sehen, von hier bis zum Horizont, zu einem Brei aus brodelndem Fels geworden ist. Sehen Sie’s vor sich? Nicht einmal ein Zehntel davon.
Feurige Derwische zogen durch das Chaos, verschmolzen wirbelnd miteinander. Hier und da brannte die Explosion einer taktischen Nuklearwaffe ein Loch in die Nacht, ein kurzes, intensives Aufflammen und gleich wieder verschluckt, wie ein finsterer Schneesturm eine Kerzenflamme verschlingt. Einmal traf eine solche Nuklearexplosion mitten in einen aufwärts rasenden Geröllberg, und es sah aus, als explodierte ein Feuerwerkskörper in einem schaukelnden Getreidesack.
Die Stadt selbst war verschwunden. Alles, was Menschen gemacht hatten, war spurlos untergegangen, und wir sahen nur noch den steinernen Mahlstrom. Auch der Fluß Delva war nicht mehr da; er war blitzartig verdampft. Eine Zeitlang sahen wir noch den trockenen Schlund des Flußbetts, das sich durch die Ebene wand, aber dann hob sich der Boden und löschte auch dies aus.
Es war unvorstellbar, daß dort unten noch etwas leben sollte. Es lebte auch nicht mehr viel. Nur die Überreste der schweren Waffenbatterien beider Seiten hatten überlebt, für uns unsichtbar in all dem Chaos. Immer noch geschützt hinter starken Phasenwänden und Streuschirmen schlugen sie blindlings aufeinander ein – das Kombinat mit taktischen Nuklearwaffen, auf die die Quästoren
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